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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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bewegte, rund um das Zelt. Sie nahm an, es war der Hund. Sie zog Rock und Hemd an, nahm ihre Waffe, schlich zum Eingang und löste vorsichtig die Klappe. Dann holte sie ein paar Mal tief Luft, öffnete die Klappe und trat barfuß hinaus in die Nacht. Der Hund war nirgends zu sehen, dafür aber eine Gestalt, die rasch im Wald verschwand. Ein Mann. Ein sehr großer Mann. »Wer sind Sie?«, schrie Sunset ihm hinterher, bekam aber keine Antwort. Nur ein Moskito summte ihr ins Ohr.
    Sie blickte auf den Boden und sah, dass neben dem Eingang zum Zelt eine leere Milchflasche lag, in der ein zusammengerolltes Blatt Papier steckte. Sunset beobachtete noch eine Zeit lang den Waldrand, dann hob sie die Flasche hoch, ging nach drinnen und schnürte die Zeltklappe fest. Sie schlüpfte durch die Laken und Decken auf die Büroseite, legte die Waffe auf den Tisch, zündete die Lampe an, schüttelte das zusammengerollte Blatt aus der Flasche und strich es auf der Tischplatte glatt.
     
    Smoky mein Kuseng. Hab gehört, was Sie getahn ham. Das wahr richtich. Sie ham Recht mit Smoky – er krigt, was er verdint, aber Sie warn gut zu ihm. Das Sies wissen; ich helf Inen. Wen Sie was brauchen, egahl bei was – ich weis ne Menge Sachen.
    Bull
     
    Bull. Von ihm hatte sie schon gehört. Jedenfalls wenn es derselbe Mann war, und das war er bestimmt. Wie viele Bulls konnte es schon geben? Sein voller Name war Bull Thomas Stackerlee, ein großer schwarzer Mann, der irgendwo tief im Wald lebte. Wie es hieß, war er deutlich über einen Meter achtzig groß und so breit wie ein Schrank, und den Fußspuren nach zu urteilen, die man von ihm im Wald fand, musste er mindestens Schuhgröße 56 haben. Angeblich schusterte er sich deshalb seine Schuhe selbst. Sie hatte sogar Gerüchte gehört, er hätte seine Schuhe aus dem Hintern eines Weißen gemacht. Der Mann hätte Bulls Grundstück betreten, und Bull hätte auf ihn geschossen und ihn zu Stiefeln verarbeitet.
    Bei der Vorstellung musste Sunset lächeln. Wer hätte diese Geschichte rumerzählen sollen? Der Weiße? Der verwundet und mit abgesäbeltem Hintern aus dem Wald gekrochen war?
    Wie es hieß, war Bulls Land gespickt mit Fallen, genau wie sein Haus. Die hatte er aufgestellt, nachdem vor ein paar Jahren Klanmitglieder beschlossen hatten, er sei zu dreist. Sie waren auf Pferden durch den dichten Wald zu seiner Farm geritten, um ihm eine Lektion zu erteilen. Eins der Pferde trat in eine Bärenfalle und musste auf der Stelle erschossen werden. Einer vom Ku-Klux-Klan fiel in eine Grube und brach sich das Bein, einem weiteren schoss Bull in den Arm. Der Klan kam zu dem Ergebnis, Bull sei ihnen doch nicht so wichtig, und ließ die Sache auf sich beruhen, denn Bull hatte verlauten lassen: Wenn sie noch mal bei ihm auftauchten, würde er sie erschießen, und ihre Laken könnten ihn nicht beeindrucken, Laken hätte er selbst, nur sei er klug genug, um zu wissen, dass die aufs Bett gehörten, nicht über den Kopf.
    Soweit Sunset wusste, war Bull der einzige Farbige, der ungeschoren so mit Weißen reden konnte. Das lag zum Teil daran, dass er tief im Wald auf seinem mit Fallen übersäten Land lebte, zum Teil daran, dass er sich nur vor wenig fürchtete und stets bereit war, sich zu wehren, nicht zuletzt aber auch daran, dass vielen Weißen an seinem Glück und seiner Gesundheit gelegen war, weil er angeblich den besten Whisky in der ganzen Gegend brannte.
    Sunset rollte den Zettel zusammen und steckte ihn wieder in die Flasche. Sie suchte sich eine Taschenlampe, löschte die Kerosinlampe, ging auf die andere Zeltseite und sah ihre Vorräte durch. Sie fand ein paar harte Maiskekse, die sie gebacken hatte, nahm sie mit nach draußen und ging zu der Eiche, bei der sie den Hund zuletzt gesehen hatte. Dann legte sie die Maiskekse auf den Boden und rief nach ihm. Aber er kam nicht, und sie konnte ihn auch nirgends sehen oder hören. Sie sammelte die Kekse wieder auf, ging zurück, zog sich aus und legte sich, die Waffe griffbereit neben sich, wieder ins Bett.
    Es dauerte lange, bis sie endlich einschlief. Sie träumte von dem armen Säugling und von Pete und fragte sich, warum er sich wohl die Mühe gemacht hatte, das Kind zu begraben. Sie träumte von dem Marx-Brothers-Film, von Smokie und seiner Flinte, dem bedauernswerten Sheriff, dem armen toten Maulesel. Wieder und wieder sah sie sich selbst, wie sie den Revolver zog, richtig schnell, und Macavee von hinten gegen den Kiefer knallte, wie er mit dem Gesicht

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