Kain
in einer drohenden oder bedrohlichen Gestalt auftrat, was auch heute so sein konnte.
Und er kam.
Nicht als Mensch, sondern als etwas anderes, das sich aus dem Hintergrund nach vorn schob.
Was war es?
Wir starrten hin, und nicht nur wir allein. Auch Kain und seine Freundin Liane. Unter den Zuschauern gab es kaum ein Geräusch. Es war still geworden.
Mal ein Flüstern, dann wieder ein Räuspern oder ein schweres Atmen.
Um mehr und besser sehen zu können, mussten wir auf die Bühne gehen. Näher ran an den Feind.
Wir wurden gesehen. Doch es gab niemanden, der Anstoß an unserem Erscheinen genommen hätte. Wir wurden auch nicht mit dem Teufel verwechselt, und die Musiker blieben ebenfalls ruhig.
Da weder Kain noch seine Freundin im Rücken Augen hatten, sahen sie nicht, dass zwei fremde Personen die Bühne betreten hatten. Unsere Waffen hatten wir bewusst stecken gelassen. Wir wollten damit nicht auffallen und würden sie erst im Notfall ziehen.
Das Kreuz warnte mich noch immer. Ich wollte es nicht länger an seinem Platz hängen lassen, zog an der Kette im Nacken und ließ das Kreuz vor meiner Brust in die Höhe rutschen.
Wenig später hielt ich es in der Hand, aber noch wollte ich es nicht einsetzen.
Nachdem wir ein paar Schritte zurückgelegt hatten, blieben wir stehen.
Wo war der Teufel?
Als hätte Kain unsere Gedanken gehört, so meldete er sich mit lauter Stimme.
»Da ist er. Da, schaut genau hin. Ich sehe ihn. Er befindet sich vor mir. Er ist die Dunkelheit, die Tiefe, die alles verschlingende Schwärze …«
Der Teufel hatte Wort gehalten, falls man das so sagen konnte. Kain hatte tatsächlich einen Draht zu ihm. Es war unwahrscheinlich. Er kam und er brachte die Schwärze. Diese tiefe, lichtlose Schwärze, die sich vom anderen Rand der Bühne allmählich näher schob und alles verschluckte, was in seinen Bereich geriet. Es dauerte nicht lange, da war ein Viertel der Bühne verschwunden, und das würde nicht so bleiben. Das stand für mich fest.
Aber es gab nicht nur die Schwärze. Ich sah noch etwas anderes. In der Mitte dieser Wand tat sich ein Loch auf. Es war nicht leer, man konnte nicht hindurchschauen, denn es war von einer rötlichen Farbe erfüllt oder von einem Feuer.
Es bewegte sich. Es rotierte, es zuckte, und es war wie das Auge des Taifuns.
»Ist er das?«, fragte Suko.
»Kann sein. Oder wieder einer seiner Tricks, seiner Verkleidungen. Möglich ist alles.«
Wir gingen nicht mehr weiter. Die Hälfte der Strecke hatten wir hinter uns. Von den Zuschauern meldete sich niemand, es gab auch keinen Protest.
Man ließ uns in Ruhe.
Kain und Liane hatten darauf gesetzt. Ob sie froh darüber waren, wusste ich nicht. Sie sagten nichts, sie sprachen sich nicht gegenseitig Mut zu. Sie standen nur da und staunten. Möglicherweise waren sie auch entsetzt.
Das war alles möglich, und die schwarze Mauer mit dem roten Zentrum kam immer näher. Ich musste nicht erst groß raten, um zu wissen, was das bedeutete.
Immer mehr verschwand.
Bald würde die Wand die beiden Wartenden erreicht haben. Und wenig später auch uns, da wir hinter ihnen standen.
Liane verlor als Erste die Nerven. »Scheiße, Marc, hast du das gemeint, wenn du von der Hölle gesprochen hast?«
»Nein.«
»Toll. Aber jetzt haben wir sie am Hals. Sie frisst doch alles. Letztendlich auch uns. Der Teufel oder die Hölle, sie sind gekommen, um uns zu holen.«
»So war das nicht gemeint.«
»Das wird aber so sein.«
»Ich habe doch alles getan.«
»Hast du! Sogar gemordet, und jetzt bekommst du die Quittung. Jetzt wird er sich deine Seele holen. Die ist schwarz genug. Die passt in die Hölle.«
»Ach? Und deine nicht?«
»Ich habe nur getan, was du wolltest. Die großen Ideen hast du immer gehabt.«
»Ja, hatte ich. Und ich weiß, was ich wert bin. Der Teufel hat mir versprochen, auf mich zu achten. Er wird sein Versprechen halten, das steht fest.«
»Da wäre ich nicht so sicher.«
»Doch, verflucht!«
Es war an der Zeit, dass wir eingriffen. Keiner von uns wollte, dass die andere Seite zum Opfer der Hölle wurde, aber Kain hatte anderes vor. Er war so verbohrt, dass er es einfach wagte.
»Ich komme!«, schrie er und lief im nächsten Moment auf die Schwärze zu …
***
Ich hatte ihn noch zurückhalten wollen. Aber es wäre zu spät gewesen, ich hätte es nicht mehr geschafft, und so warf er sich hinein in die Welt, die er so mochte.
Er wurde geschluckt.
Er hatte seine Ankunft zuvor durch einen Schrei angekündigt
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