Kain
sicherlich wach, niemand würde von dem kurzen Abstecher erfahren, oder vielleicht nur die beiden Sklavinnen, die ihm bei seiner Ankunft die Türen zum Paradies geöffnet hatten, und sie würden lächelnd sagen, Wie gut wir dich verstehen können, Abel. Wenn er um die nächste Ecke bog, würde er den Palast nicht mehr sehen können. Der Alte mit den Schafen war nicht da, der Herr, falls er es war, ließ ihm freie Hand, gab ihm aber keine Straßenkarte, keinen Pass, keinerlei Empfehlungen für Hotels und Restaurants, eine Reise, wie man sie früher machte, ins Blaue hinein oder, wie man schon damals sagte, auf gut Glück. Kain trieb den Esel erneut an, und schon bald befand er sich auf freier Flur. Die Stadt war zu einem bräunlichen Fleck geworden, der mit zunehmender Entfernung trotz des gemäßigten Tempos des Esels im Erdboden zu versinken schien. Die Landschaft war trocken, karg, kein Wasserlauf zu sehen. Angesichts dieser Trostlosigkeit war es unvermeidlich, dass Kain an den mühsamen Weg zurückdachte, den er zurückgelegt hatte, nachdem der Herr ihn aus dem unheilvollen Tal vertrieben hatte, in dem der arme Abel für immer geblieben war. Ohne etwas zu essen, ohne einen Tropfen Wasser bis auf jenes, das schließlich vom Himmel fiel, als die Kräfte seiner Seele schon gänzlich schwanden und ihm die Beine bei jedem Schritt einzuknicken drohten. Dieses Mal wird es ihm wenigstens an Essen nicht fehlen, die Satteltaschen sind bis oben gefüllt, dank liebevoller Fürsorge von Lilith, die offenbar doch nicht eine so schlechte Hausfrau war, wie man es ihren lockeren Sitten zufolge hätte meinen können. Von Übel ist, dass weit und breit in der Landschaft kein Fleckchen Schatten zu sehen ist, zu dem er Zuflucht nehmen könnte. Am hellen Vormittag ist die Sonne schon das reinste Feuer, und die Luft flimmert derartig, dass wir den Augen nicht glauben, was sie sehen. Kain sagte, Besser so, dann brauche ich zum Essen nicht abzusitzen. Der Weg stieg immer weiter an, und der Esel, der genau genommen nichts von einem dummen Esel hatte, trottete im Zickzack vorwärts, mal hierhin, mal dahin, ein genialer Trick, den er wohl von den Maultieren gelernt haben musste, die sich in Sachen Bergsteigen bestens auskennen. Noch ein paar Schritte, und der Aufstieg war geschafft. Und dann, welch Überraschung, welch Staunen, die Landschaft, die Kain nun vor Augen hatte, sah vollkommen anders aus, grün, alle Grüntöne, die man je gesehen hat, mit dichtbelaubten Bäumen und bebauten Feldern, schimmerndem Wasser, milder Temperatur und am Himmel segelnden weißen Wolken. Kain blickte zurück, die gleiche Kargheit wie zuvor, die gleiche Trockenheit, nichts hatte sich da verändert. Es war, als gäbe es eine Grenze, eine Trennlinie zwischen zwei Ländern. Oder zwei Zeiten, sagte Kain, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er es gesagt hatte, so als hätte es jemand an seiner Stelle gedacht. Er hob den Kopf, blickte zum Himmel und sah, dass die Wolken, die sich in die Richtung bewegten, aus der wir gekommen sind, senkrecht über dem Erdboden innehielten und gleich darauf wie von Zauberhand verschwanden. Wobei zu berücksichtigen ist, dass Kain von kartographischen Fragen wenig versteht, man könnte sogar sagen, dass dies seine erste Reise ins Ausland ist, es also natürlich ist, dass er überrascht reagiert, andere Länder, andere Leute, andere Himmel und andere Sitten. Nun gut, all das mag richtig sein, doch kann mir niemand erklären, warum die Wolken nicht von hier nach da ziehen können. Es sei denn, sagt die Stimme, die aus Kains Mund spricht, dass es eine andere Zeit ist, dass diese von Menschenhand gepflegte und bearbeitete Landschaft in vergangenen Zeiten ebenso unfruchtbar und trostlos war wie das Land Nod. Dann befinden wir uns also in der Zukunft, fragen wir, denn wir haben schon ein paar Filme zu diesem Thema gesehen und auch Bücher gelesen. Ja, das ist die übliche Formel zur Erklärung dessen, was sich hier offenbar ereignet hat, die Zukunft, sagen wir, und atmen beruhigt auf, denn nun haben wir es ja mit einem Etikett versehen, es benannt, doch kämen wir unserer Meinung nach weit besser damit zurecht, wenn wir es eine andere Gegenwart nennen würden, denn die Erde ist doch dieselbe, nur die jeweilige Gegenwart ändert sich, mal ist es eine vergangene Gegenwart, dann wieder eine künftige, das ist ganz einfach, jedermann wird das begreifen. Einer, der allergrößte Freude zu erkennen gibt, ist der Esel. In Dürregegenden
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