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Kain

Kain

Titel: Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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getan, Willst du damit sagen, dass der Herr die Menschen um den Verstand bringt, fragte Isaak, Ja, sehr oft, fast immer, antwortete Abraham, Wie dem auch sei, du warst es, der das Messer in der Hand hatte, Der Herr hatte alles organisiert, im letzten Moment wollte er eingreifen, du hast den Engel doch gesehen, der schließlich erschien, Er kam verspätet, Der Herr hätte einen anderen Weg gefunden, dich zu retten, wahrscheinlich wusste er sogar, dass der Engel sich verspäten würde, und ließ deshalb diesen Mann kommen, Kain heißt er, vergiss nicht, was du ihm verdankst, Kain, sprach Abraham gehorsam nach, ich habe ihn kennengelernt, als du noch nicht geboren warst, Den Mann, der verhindert hat, dass man deinem Sohn die Kehle durchtrennt und er auf dem Holzbündel verbrannt wird, das er selbst auf dem Rücken geschleppt hat, Es ist nicht geschehen, mein Sohn, Vater, es geht nicht darum, ob ich gestorben bin oder nicht, auch wenn das für mich selbst von Bedeutung ist, es geht darum, dass wir von einem Herrn wie diesem regiert werden, so grausam wie Baal, der seine eigenen Kinder frisst, Wo hast du diesen Namen gehört, Die Menschen träumen, Vater. Ich träume, sagte auch Kain, als er die Augen aufschlug. Er war auf dem Esel eingeschlafen und plötzlich aufgewacht. Er befand sich in einer anderen Landschaft, mit ein paar rachitischen Bäumen hier und da und so trocken wie das Land Nod, doch nicht von Disteln, sondern von Sand. Wieder eine andere Gegenwart, sagte er. Diese schien ihm älter zu sein als die vorherige, jene, in der er dem Knaben Isaak das Leben gerettet hatte, und das hieß, dass er sich in der Zeit sowohl vor- als auch zurückbewegen konnte, doch nicht nach seinem Willen, denn ehrlich gesagt empfand er sich als einen, der ungefähr, aber nur ungefähr weiß, wo er sich befindet, doch nicht, wohin er sich begibt. Dieser Ort, um nur ein Beispiel dafür zu nennen, welchen Orientierungsschwierigkeiten Kain ausgesetzt war, sah ganz nach einer längst vergangenen Gegenwart aus, als befände die Welt sich noch in der letzten Entstehungsphase, in der alles einen provisorischen Charakter hatte. Dahinten, gleich hinter dem Horizont, ganz dazu passend, reckte sich ein mächtig hoher Turm in der Form eines Kegelstumpfes, das heißt der Form eines Kegels, dessen oberster Teil abgeschnitten oder noch nicht draufgesetzt war. Er stand sehr weit weg, doch Kain, der ausgezeichnet sehen konnte, hatte den Eindruck, als bewegten sich Menschen rund um das Bauwerk. Die Neugier veranlasste ihn, den Esel anzuspornen, damit er schneller ging, doch schon bald zwang ihn die Vorsicht, das Tempo zu verringern. Er war sich nicht sicher, ob es sich um friedliche Leute handelte, und selbst wenn dem so war, konnte mit einem Esel, der mit zwei Satteltaschen voller Proviant der besten Qualität beladen war, wer weiß was geschehen angesichts einer Ansammlung von Menschen, die aus Not und Tradition bereit waren, alles zu verschlingen, was ihnen in die Hände fiel. Er kannte sie nicht, wusste nicht, wer sie waren, aber er konnte es sich unschwer ausmalen. Es war auch nicht möglich, den Esel zurückzulassen, wie ein nutzloses Ding an einen Baum gebunden, denn dann würde er riskieren, bei der Rückkehr kein Tier und keinen Proviant mehr vorzufinden. Die Vorsicht riet ihm, einen anderen Weg zu nehmen, Abenteuer zu meiden, kurz, um es mit anderen Worten zu sagen, das Schicksal nicht herauszufordern. Die Neugier jedoch war stärker als die Vorsicht. Er deckte die Öffnungen der Satteltaschen, so gut er konnte, mit Zweigen ab, als handelte es sich um Futter für sein Reittier, und ritt, alea jacta est, auf den Turm zu. Je näher er kam, umso lauter wurde das zunächst leise Stimmengewirr, bis es zu wahrem Lärm anschwoll. Die sind wohl verrückt, ganz und gar wahnsinnig, dachte Kain. Ja, sie waren wahnsinnig vor Verzweiflung, weil sie redeten, aber einander nicht verstehen konnten, als wären sie taub, und schrien vergeblich immer lauter. Sie sprachen verschiedene Sprachen, und in manchen Fällen lachten sie und machten sich übereinander lustig, als wäre die Sprache des einen schöner und wohlklingender als die des anderen. Kurios daran war, und das wusste Kain noch nicht, dass keine dieser Sprachen vorher auf der Welt existiert hatte, alle, die sich dort befanden, hatten ursprünglich in ihrer Heimat eine einzige Sprache gesprochen und einander ohne die geringsten Schwierigkeiten verstanden. Sein Glück war, dass er inmitten der Menschen,

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