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Kain

Kain

Titel: Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Und ohne eine Antwort abzuwarten, packten sie ihn an der Hand, ihn, seine Frau und seine beiden Töchter, und führten sie aus der Stadt hinaus. Abraham und Kain gingen mit ihnen, wollten sie jedoch nicht in die Berge begleiten, wohin sich die anderen auf Anraten der Sendboten begeben hätten, wenn nicht Lot um Erlaubnis gebeten hätte, in einer kleinen Stadt, fast einem Dorf, namens Zoar zu bleiben. So geht denn, sagten die Sendboten, aber blickt nicht zurück. Lot erreichte die kleine Stadt in dem Augenblick, als die Sonne aufging. Da ließ der Herr Schwefel und Feuer auf Sodom und auf Gomorrha regnen und zerstörte beide bis auf die Grundmauern und ebenso die ganze Gegend mit all ihren Bewohnern und aller Vegetation. Wohin auch der Blick fiel, nur Ruinen, Asche und verbrannte Körper. Lots Frau aber missachtete die Anweisung, blickte zurück und erstarrte zu einer Salzsäule. Bis zum heutigen Tag kann niemand verstehen, wofür sie so gestraft wurde, wo es doch ganz natürlich ist, wissen zu wollen, was in unserem Rücken geschieht. Mag sein, dass der Herr ihre Neugier bestrafen wollte, als handelte es sich um eine Todsünde, doch auch dies spricht nicht gerade für seine Intelligenz, man denke nur daran, was mit dem Baum der Erkenntnis geschah, hätte Eva nicht Adam die Frucht zu essen gegeben und hätte sie selbst nicht auch davon gegessen, befänden sie sich noch immer im Garten Eden mitsamt der Langeweile, die darin herrschte. Auf dem Rückweg hielten sie zufällig für einen Moment dort inne, wo Abraham mit dem Herrn gesprochen hatte, und da sagte Kain, Es gibt so einen Gedanken, der mich nicht loslässt, Welchen Gedanken, fragte Abraham, Ich denke, dass es in Sodom und in den anderen Städten, die verbrannt wurden, Unschuldige gab, Hätte es sie gegeben, dann hätte der Herr sein Versprechen gehalten und ihr Leben verschont, Die Kinder, sagte Kain, die Kinder dort waren unschuldig, Mein Gott, murmelte Abraham, und seine Stimme klang wie ein Stöhnen, Ja, vielleicht ist er dein Gott, aber der Gott der Kinder war er nicht.

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    V on einem Augenblick auf den nächsten befand sich derselbe Kain, der in Sodom gewesen war und sich wieder auf den Weg gemacht hatte, in der Wüste Sinai, wo er sich zu seiner großen Überraschung von einer mehrtausendköpfigen Menschenmenge umringt sah, die am Fuße eines Berges lagerte. Er wusste nicht, wer sie waren, nicht, woher sie kamen, und auch nicht, wohin sie wollten. Hätte er einen derer gefragt, die sich in seiner Nähe befanden, hätte er sich sofort als Fremder verraten, und das hätte ihm nur Ärger und Schwierigkeiten eingetragen. Da er, wie man sieht, vorsichtig und auf der Hut war, beschloss er, sich dieses Mal weder Kain noch Abel zu nennen, denn wenn der Teufel es wollte, tauchte womöglich einer auf, der von der Geschichte der beiden Brüder gehört hatte, und würde anfangen, peinliche Fragen zu stellen. Am besten war es, Augen und Ohren offen zu halten und seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Eines war schon mal sicher, den Namen eines gewissen Moses führten alle im Munde, manche mit altehrwürdiger Verehrung, die Mehrheit mit noch frischer Ungeduld. Und diese waren es, die fragten, Wo bleibt Moses, vierzig Tage und vierzig Nächte ist es nun her, dass er zum Berg gegangen ist, um mit dem Herrn zu sprechen, aber bis jetzt kein Wort von ihm, der Herr hat uns verlassen, das steht fest, er will von seinem Volk nichts mehr wissen. Der Weg des Irrtums ist am Anfang schmal, doch findet sich immer einer, der bereit ist, ihn zu verbreitern, mit dem Irrtum ist es, um es mit einem Sprichwort zu sagen, wie mit Essen oder Sichkratzen, man muss einfach nur damit anfangen. Unter denen, die auf Moses’ Rückkehr vom Berg Sinai warteten, befand sich auch sein Bruder Aaron, den sie noch zu der Zeit, da die Israeliten in ägyptischer Sklaverei lebten, zum Hohepriester ernannt hatten. An ihn nun wandten sich die Ungeduldigen, Komm, mach uns Götter, die uns geleiten, denn wir wissen nicht, was mit Moses geschehen ist, und Aaron, der allem Anschein nach nicht nur keinen beispielhaft standfesten Charakter besaß, sondern auch ziemlich ängstlich war, weigerte sich nicht etwa rundweg, sondern sagte, Da ihr dieses wollt, reißt euren Frauen und Söhnen und Töchtern ihre goldenen Ohrringe ab und bringt sie mir hierher. Sie taten, wie ihnen geheißen. Dann warf Aaron das Gold in eine Form, schmolz es, und heraus kam ein goldenes Kalb. Scheinbar zufrieden mit seinem Werk und ohne

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