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Kain

Kain

Titel: Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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sich der gravierenden Unvereinbarkeit bewusst zu sein, die mit der Frage einherging, wer künftig angebetet werden sollte, der eigentliche Herr oder aber ein Kalb, verkündete er, Morgen ist das Fest des Herrn. Dies alles vernahm Kain, der sich aus einzelnen Wörtern, Bruchstücken von Dialogen und angedeuteten Kommentaren allmählich eine Vorstellung nicht nur davon machen konnte, was dort vor sich ging, sondern auch über seine Vorfahren. Von großer Hilfe waren ihm dabei Unterhaltungen, die er in einer Gemeinschaftshütte hörte, wo die Junggesellen schliefen, also jene, die keine Familie hatten. Kain erklärte, er heiße Noah, ein besserer Name fiel ihm nicht ein, er wurde freundlich aufgenommen und nahm wie selbstverständlich an der Unterhaltung teil. Schon damals redeten die Juden viel und gelegentlich zu viel. Am nächsten Morgen ging das Gerücht, Moses komme endlich vom Berg Sinai herab, und Josua, sein Diener und der militärische Führer der Israeliten, habe sich auf den Weg gemacht, um ihm entgegenzugehen. Als Josua das Geschrei des Volkes hörte, sagte er zu Moses, Im Lager gibt es Kriegsgeschrei, und Moses antwortete Josua, Was man da hört, sind weder fröhliche Siegesgesänge noch traurige Lieder der Niederlage, es sind lediglich Stimmen von singenden Menschen. Er ahnte nicht, was ihn erwartete. Sowie er im Lager eintraf, erblickte er das goldene Kalb und Menschen, die um das Kalb herumtanzten. Er griff nach dem Kalb, zerbrach es, zermalmte es zu Pulver und sprach zu Aaron, Was hat dir das Volk getan, dass du eine so große Sünde über sie gebracht hast, und Aaron, der die Welt, in der er lebte, mit all ihren Fehlern kannte, antwortete, O mein Herr, ärgere dich nicht über mich, du weißt sehr wohl, dass dieses Volk zum Bösen neigt, die Idee stammt von ihnen, sie wollten andere Götter, weil sie nicht mehr daran glaubten, dass du zurückkommen würdest, und sie hätten mich ganz gewiss getötet, wenn ich mich geweigert hätte, ihnen zu Gefallen zu sein. Da stellte sich Moses an den Eingang zum Lager und rief, Wer für den Herrn ist, komme her zu mir. Alle vom Stamm des Levi gesellten sich zu ihm, und Moses verkündete, So spricht der Herr, der Gott Israels, es nehme ein jeder ein Schwert, kehret alle zurück ins Lager, gehet von Tür zu Tür, und ein jeglicher töte seinen Bruder, Freund und Nachbarn. Und so kam es, dass ungefähr dreitausend Männer starben. Das Blut floss zwischen den Hütten wie eine Überschwemmung aus den Eingeweiden der Erde, als blutete sie selbst, überall lagen Körper mit durchgeschnittener Kehle, aufgeschlitztem Bauch, ganz und gar zerfetzt, die Schreie der Frauen und Kinder waren sicherlich noch auf dem Gipfel des Berges Sinai zu hören, wo der Herr vermutlich seine Rache genoss. Kain traute seinen Augen kaum. Sodom und Gomorrha vom Feuer vernichtet genügten noch nicht, hier, am Fuße des Berges Sinai, war der unwiderlegbare Beweis für die tiefe Bösartigkeit des Herrn erbracht, dreitausend Männer getötet, nur weil er sich über die Erfindung eines angeblichen Rivalen in Gestalt eines Kalbes geärgert hatte, Ich habe bloß einen Bruder getötet, und der Herr hat mich gestraft, jetzt möchte ich mal sehen, wer den Herrn für diese Toten strafen wird, dachte Kain, und gleich darauf, Luzifer wusste genau, was er tat, als er gegen Gott aufbegehrte, manche behaupten, er habe es aus Neid getan, doch das stimmt nicht, er tat es, weil er die bösartige Natur des Kerls kannte. Ein wenig vom Wind verwehter Goldstaub fiel auf Kains Hände. Er wusch sie in einer Pfütze, als vollzöge er das Ritual, mit dem man den Staub eines Ortes von den Füßen abschüttelt, an dem man nicht gut empfangen worden ist, bestieg den Esel und ritt davon. Über dem Berg Sinai hing eine dunkle Wolke, dort befand sich der Herr.
    Aus Gründen, die zu erläutern uns nicht ansteht, tun wir hier doch nichts anderes, als alte Geschichten wiederzugeben, erlebte der ständig zwischen naivster Gutgläubigkeit und entschiedener Skepsis schwankende Kain etwas, das wir, ohne zu übertreiben, einen Wirbelsturm, einen Taifun des Kalenders, einen Orkan der Zeit nennen könnten. Nach der Episode mit dem goldenen Kalb und seinem kurzen Dasein auf Erden erfolgten mehrere Tage lang mit unglaublicher Geschwindigkeit die ihm inzwischen vertrauten Gegenwartswechsel, sie tauchten aus dem Nichts auf und versanken im Nichts in Form von vereinzelten, zusammenhanglosen Bildern, ohne jede Kontinuität, ohne jeden Bezug

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