Kain
wahrnehmen, wie heftig der Sturm aus dem Mund des Herrn blies und mit welchem Getöse die Mauern, die Säulen, die Arkaden, die Gewölbe, die Stützpfeiler einstürzten, deshalb war ihm, als fiele der Turm geräuschlos wie ein Kartenhaus zusammen, bis alles nur noch eine riesige Staubwolke bildete, die zum Himmel aufstieg und die Sonne verhüllte. Viele Jahre später wird man sagen, dass dort ein Meteorit eingeschlagen sei, einer der vielen Himmelskörper, die durch den Weltraum irren, doch das stimmt nicht, es war der Turm zu Babel, den der Herr uns nicht zu Ende bauen ließ. Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte ihrer Uneinigkeiten mit Gott, weder versteht er uns, noch verstehen wir ihn.
7
A uf den Tafeln des Schicksals stand geschrieben, dass Kain Abraham wiederbegegnen sollte. Eines Tages, bei einem der plötzlichen Gegenwartswechsel, die ihn durch die Zeit reisen ließen, mal vorwärts, mal zurück, fand sich Kain zur Stunde der größten Hitze bei den Eichen von Mamre vor einer Hütte. Ihm war, als hätte er mit halbem Auge einen Greis erblickt, der ihn vage an jemanden erinnerte. Um sich zu vergewissern, rief er vor der Hütte, und heraus trat Abraham. Suchst du jemanden, fragte er, Ja und nein, ich bin nur auf der Durchreise, mir war, als hätte ich dich erkannt, und ich habe mich nicht getäuscht, wie geht es deinem Sohn Isaak, ich bin Kain, Du irrst dich, der einzige Sohn, den ich habe, heißt nicht Isaak, sondern Ismael, und Ismael ist der Sohn, den ich meiner Sklavin Hagar gemacht habe. Kains flinkem Geist, inzwischen geübt in derlei Situationen, kam plötzlich die Erleuchtung, das Spiel der wechselnden Gegenwart hatte wieder einmal die Zeit manipuliert, hatte ihm vorher gezeigt, was sich erst später zutragen würde, das heißt, einfacher und deutlicher ausgedrückt, besagter Isaak war noch gar nicht geboren. Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals gesehen zu haben, sagte Abraham, aber komm herein, fühl dich wie zu Hause, ich lasse dir Wasser bringen, damit du dir die Füße waschen kannst, und Brot für deine Reise, Zuerst muss ich mich um meinen Esel kümmern, Bring ihn zu den Eichen, da findest du Heu und Stroh und eine Tränke, gefüllt mit kühlem Wasser. Kain führte den Esel am Halfter, nahm ihm den Packsattel ab, um ihm in der Hitze Erleichterung zu verschaffen, und stellte ihn in den Schatten. Dann hob er die fast leeren Satteltaschen an und überlegte, wie er der langsam beunruhigenden Proviantknappheit abhelfen konnte. Abrahams Worte hatten sein Gemüt aufgeheitert, doch gilt zu bedenken, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, schon gar nicht er, der in letzter Zeit mit kulinarischen Leckereien verwöhnt worden war, die das für seine Herkunft und seinen sozialen Stand Angemessene bei weitem übertrafen. Er überließ den Esel seinen nur allzu berechtigten ländlichen Genüssen wie Wasser, Schatten, Futter in Hülle und Fülle, begab sich zu der Hütte, klopfte an, um sich bemerkbar zu machen, und trat ein. Sogleich stellte er fest, dass darin eine Versammlung stattfand, zu der er natürlich nicht eingeladen war, drei Männer, offenbar in der Zwischenzeit eingetroffen, unterhielten sich mit dem Hausherrn. Er machte Anstalten, sich mit gebührender Diskretion zurückzuziehen, doch Abraham sagte, Geh nicht, setz dich, ihr seid alle meine Gäste, und nun erlaubt mir, dass ich ein paar Anweisungen erteile. Darauf ging er nach hinten und sprach zu Sara, seiner Frau, Eile und menge drei Maß Semmelmehl, knete und backe Brote. Dann lief er zu den Rindern, holte ein zartes, gutes Kalb und gab es dem Knecht, damit dieser es rasch zubereite. Als all dies fertig war, setzte er den Gästen, auch Kain, von dem Kalb vor und sagte, Iss mit ihnen dort unter den Bäumen. Und als wäre es noch nicht genug, trug er auch Butter und Milch auf. Da fragten sie, Wo ist Sara, und Abraham antwortete, In der Hütte. Da sagte der eine der drei Männer, Über ein Jahr will ich wieder zu dir kommen, und wenn es an der Zeit ist, soll dein Weib einen Sohn gebären. Das wird Isaak sein, sagte Kain leise, so leise, dass ihn offenbar niemand hörte. Nun waren aber Abraham und Sara schon ziemlich betagt, und sie hatte nicht mehr das Alter, Kinder zu bekommen. Deshalb lachte sie bei dem Gedanken, Wie soll ich noch diese Lust pflegen, wenn mein Mann und ich alt und müde sind. Der Mann fragte Abraham, Warum lacht Sara und denkt, dass sie in diesem Alter kein Kind mehr gebären kann, sollte dies für den
Weitere Kostenlose Bücher