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Kain

Kain

Titel: Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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zwischen ihnen, manche zeigten, was wie die Schlachten eines endlosen Krieges aussah, an dessen Auslöser sich niemand mehr erinnern konnte, andere stellten so etwas wie eine groteske Farce dar, immer brutal, eine Art permanentes Kaspertheater, grob, kreischend, aufdringlich. Eines dieser vielzähligen Bilder, das rätselhafteste und am schnellsten verblassende, hielt ihm eine riesige Wasserfläche vor Augen, auf der bis zum Horizont keine einzige Insel, nicht einmal ein einfaches Segelboot mit seinen Fischern und seinen Netzen auszumachen war. Wasser, nur Wasser, überall Wasser, nichts als Wasser, in dem die Welt versank. Viele dieser Geschichten hätte Kain selbstverständlich nicht direkt miterlebt haben können, doch von manchen, mochten sie wahr sein oder auch nicht, hatte er auf dem üblichen Weg Kenntnis erhalten, über einen, der sie von einem anderen gehört und wieder einem anderen erzählt hatte. Ein Beispiel dafür war die skandalöse Geschichte von Lot und seinen Töchtern. Als Sodom und Gomorrha zerstört wurden, traute Lot sich nicht, in der nahegelegenen Stadt Zoar zu bleiben, und beschloss, in einer Höhle in den Bergen Zuflucht zu suchen. Eines Tages sagte die ältere Tochter zu der jüngeren, Mit unserem Vater geht es zu Ende, er wird uns hier noch sterben, und in dieser Gegend findet sich kein einziger Mann, der uns heiraten könnte, ich habe eine Idee, wir machen ihn betrunken, und dann schlafen wir mit ihm, damit er uns Nachkommen schenkt. So geschah es, und Lot merkte weder, dass sie sich zu ihm legte, noch dass sie das Bett verließ, und das Gleiche geschah in der darauffolgenden Nacht mit der jüngeren Tochter, weder merkte er, dass sie sich zu ihm legte, noch dass sie das Bett verließ, so betrunken war der Alte. Die beiden Schwestern wurden schwanger, doch als Kain, großer Fachmann in Sachen Erektion und Ejakulation, wie seine erste und bislang einzige Geliebte Lilith mit Freuden festgestellt hatte, diese Geschichte hörte, sagte er, Einem Mann, der so betrunken ist, dass er nicht mehr wahrnimmt, was da geschieht, kommt das Ding überhaupt nicht hoch, und wenn das Ding nicht hochkommt, kann es auch keine Penetration geben und folglich nix da mit schwängern. Dass der Herr in den von ihm geschaffenen frühen Gesellschaften Inzest als etwas Alltägliches und keiner Bestrafung wert betrachtete, muss uns nicht überraschen angesichts einer noch nicht mit Moralvorschriften belegten Natur, bei der es vor allem auf die Fortpflanzung der Spezies ankam, sei es, weil die Brunst danach verlangte, sei es einfach aufgrund von Lust oder, wie man später sagen wird, um Gutes zu tun ohne Ansehen der Person. Der Herr selbst hatte gesagt, Wachset und mehret euch, und er hatte dieser Anweisung weder Begrenzungen noch Vorbehalte hinzugefügt, etwa mit wem und mit wem nicht. Möglich ist, wobei dies bislang nicht über eine Arbeitshypothese hinausgeht, dass die Liberalität des Herrn in Sachen Kindermachen mit der Notwendigkeit zu tun hat, die Verluste auszugleichen, die, wie man bis jetzt gesehen hat und gewisslich weiterhin sehen wird, sowohl seine eigenen Heerscharen als auch die Heere anderer fast täglich durch Tote und Verletzte erlitten. Man denke nur daran, was in Sichtweite des Berges Sinai und der Rauchsäule geschah, die der Herr war, an den erotischen Eifer, mit dem noch in derselben Nacht, kaum waren die Tränen der Überlebenden getrocknet, in aller Eile neue Kämpfer gezeugt wurden, damit sie zu den herrenlosen Schwertern würden greifen und die Söhne derer enthaupten können, die nun als Sieger hervorgegangen waren. Man sehe sich nur an, was mit den Midianitern geschah. Durch einen Zufall, wie es sie im Krieg gibt, hatten die aus Midian die Israeliten besiegt, die übrigens, das sei in diesem Zusammenhang erwähnt, trotz aller das Gegenteil behauptenden Propaganda im Lauf der Geschichte nicht selten besiegt wurden. Mit diesem Stein im Schuh sprach der Herr zu Moses, Du musst dafür sorgen, dass die Israeliten sich an den Midianitern rächen, und danach mach dich bereit, denn es naht die Stunde, dich zu deinen Vorfahren zu gesellen. Trotz der unangenehmen Nachricht, dass ihm nur noch relativ wenig Lebenszeit blieb, befahl Moses allen zwölf Stämmen Israels, jeweils eintausend Mann für den Krieg aufzustellen, und so versammelte er ein Heer von zwölftausend Soldaten, welches das Heer der Midianiter vernichtete, und kein einziger kam mit dem Leben davon. Unter den Getöteten waren die Könige

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