Kairos (German Edition)
Ort er war. Diese Erfahrung – eigenartiger, aufrüttelnder als Worte sie beschreiben könnten. Corey wußte: auch sein Leben war längst nicht mehr dasselbe; alles Logische hatte sich in etwas Traumhaftes verkehrt.
In eine neue Art der Logik.
Dann tauchte er in das Schiffsinnere, in den Bauch des Wals.
Eiko, Alain und Entriqu traten zurück.
„Rak´shasa“, sagte der Indianer.
Rak´shasa.
Eiko sagte: „Das Schiff erkennt ihn als jemand, dessen Platz in seinem Inneren ist. Es hat Bals abgelehnt, aber ihn akzeptiert es.“Sie bemaß den Franzosen von der Seite. „Alain, die
Gaia
kennt ihn.“
„Ist es möglich...“, flüsterte Alain.
„Willst du immer noch anzweifeln, was alles möglich ist? Inzwischen scheint alles möglich.“
Er blinzelte. So oder ähnlich hatte er einst zu Leo Cromer gesprochen. Völlig verrückt. Oder ganz natürlich. Wie man es sah. Er begegnete Eikos Blick. Und sah wieder nach oben. „Ja, ich weiß.“
Eiko mußte grinsen. Coreys Körper verschwand in der Luke. Eiko atmete durch. Von draußen, näher als sonst, ein bestimmter Lärm. Die Skulls. Ihre Scheusale. Die Japanerin nickte. „Okay. Jetzt wir.“
„Gehen wir“, nickte Alain. Er wirkte auf den ersten Blick entschieden. In Wahrheit verunsicherte ihn sein erdgebundener Teil, während der Singsang jener Wesenheit über ihm ferne, wahre Wunder pries. Das Schöne, das Schlimme war: ihm blieb keine Wahl. Aber gleichviel, die Zeit drängte. Dorias spektakuläres Ablenkungsmanöver würde die Shumgona nicht lange aufhalten können. Schon bald würden sie den Hangar stürmen, und dann mußten sie – Alain, Eiko, Entriqu, Galdea und dieser junge Springinsfeld – an Bord der
Gaia
gen Weltraum rasen, ihrem Schicksal entgegen.
Doria tauchte auf. Sie sprang durch das gezackte Loch in der Wand und kam schreiend und gestikulierend herangehumpelt. „Seid ihr fertig? Da draußen landen neue Dornenschiffe, ich kann mir nicht vorstellen, wie wir mit denen fertig werden sollten!“
Wie auf ein Stichwort erbebte die Montagehalle. Metallstreben lösten sich aus ihren Halterungen und krachten herab. Alain fuhr zusammen und bedeckte instinktiv den Kopf mit den Armen. Auch Enriqu reagierte intuitiv und ging in die Hocke.
„Ich fürchte, daß wird nichts nützen“, versetzte Eiko.
Doria erreichte sie völlig außer Atem. Sie hatte Schürfwunden im rußigen Gesicht, und ihr rechtes Auge war blutunterlaufen.
„Was ist passiert?“, fragte Alain ungehalten. „Woher hatten sie den Jeep?“
„Scheißegal“, preßte Doria zwischen zwei tiefen Atemzügen hervor. Sie nickte gen
Gaia
. „Wo ist er, schon im Inneren?“
Alain nickte.
Dorias Blick bekam etwas Respektvolles; es galt eindeutig dem über ihr schwebenden Sternenschiff. „Ich
wußte
es.“
Eiko sagte: „Gehen wir auch an Bord.“
Wieder erschütterte eine Explosion den Hangar. Stücke der auseinanderbrechenden Plexiglasoberlichter schlugen nur ein paar Meter entfernt auf.
Doria blickte kurz auf die scharfkantigen Splitter aus zentimeterdickem Verbundglas, dann auf die Stelle über ihr, wo sich die Einstiegsluke befand. Sie hob die Arme, legte den Kopf zurück. „Hier kommt eure Pilotin. Das wird ein Höllenspaß.“ Sie wurde nach oben gezogen.
„Du zuerst“, sagte Alain zu Eiko.
„Wie du willst.“
Eiko tat es Doria gleich. Etwas zog sie ebenso rasch und unnachgiebig nach oben, wie zuvor die Pilotin.
Alain sah ihr nach, dann zu Enriqu. „Häuptling, nach dir.“
Enriqu positionierte sich und schwebte wie von Geisterhand getragen in das Innere des Sternenschiffes.
Alain blieb zurück. Er überlegte nur eine Sekunde. Sollte er gehen? Was war die Alternative? Hierzubleiben brachte nichts ein, außer dem sicheren Tod. Und falls er flog, floh? Er würde Lynette und Madeleine niemals wiedersehen, zumindest nicht auf der Erde. Die kleine Madeleine, sein ein und alles. Er vermißte sie, liebte sie mehr als sein eigenes Leben. Und dennoch würde er sie verlassen.
Ohrenbetäubender Krach. Kokelnde Trümmer durchschlugen die Hangarwand rechterhand. Qualm füllte das riesige Gebäude.
Alain fragte sich zum tausendsten Mal, warum die Shumgona ihnen das überhaupt antaten, zeitgleich tat er einen Schritt zurück. Er sah zu der Luke empor. Und zögerte noch immer.
Madeleine. Die gute alte Erde.
Sein Leben hier; seine Heimat. Alles verloren.
Nicht ganz. Noch lebte er. Noch konnte er
irgend etwas
tun. Weilte er länger an diesem Ort, wäre er schon bald tot, erst dann
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