Kairos (German Edition)
wirklich alles verloren. Die Shumgona würden ihn überwältigen, gefangennehmen und alles Wissen über die Som´ai, Galdea, die
Gaia
und seinen Erwählten-Status aus ihm pressen. Er war sicher, er würde Schmerzen leiden. Er würde sterben. Also gab es keine Alternative. Er mußte gehen. Es war entschieden – von wem, zu welchem Zweck auch immer.
Unter der hellen Luke stehend, die Arme erhoben, kam er zu der Einsicht, daß er sein Schicksal haßte. Er liebte und verehrte Gott – seinen Gott –, aber die Wege, die er wies, verabscheute Alain zutiefst – meistens im Geheimen, jetzt offen und abgrundtief.
[Alain, wo steckst du? Komm endlich, komm!]
Seine Einkehr endete. Es war nicht Galdea, die ihn rief, sondern Eiko.
Das Schiff verändert uns,
dachte er und konstatierte:
irgendwie. Wir hören immer weitere Dinge. Ich bin unschlüssig, ob ich dies verdamme oder gutheiße.
Er entschied, daß es etwas anderes als sein Nachsinnen sein würde, das ihm die Antwort zuteil werden ließe – früher oder später.
[Ich bin schon bei dir – bei euch.]
Eine Fassadenseite von BAU 17 stürzte mit einer Lärmexplosion in sich zusammen. Die
Gaia
konnte oder wollte die Skulls nicht länger aufhalten.
Alain straffte sich und tauchte in das Innere der
Gaia
.
Corey lag auf dem Boden, der kein echter Boden war, weil man ihn nicht so definieren konnte, sondern nur ein zerstreutes Wabern, wie Nebel, der aus einem Kanalschacht quoll. Nun, ob herkömmlicher Boden oder nicht – er trug ihn. Corey stürzte nicht in die Tiefe, sondern blieb, wo er war.
Er war wieder mehr bei sich, nahm alles um ihn her mehr oder weniger scharf und gut ausgeleuchtet wahr. Das Gebilde, was sich vor ihm aufbaute, bestaunte er mit grenzenloser Faszination. Die Blase von Grapefruitgröße durchlief eine Reihe dehnender Schübe, blähte sich zitternd auf, schillernd wie Lametta. In gleichmäßigen Wellen wurde sie größer, bis sie schließlich so groß war wie er selbst. Zugleich war sie, weg von der Kugelform, ins Ovale gewechselt. Corey hätte einen solchen Topologiewandel für undenkbar gehalten. Die aberwitzigen Kuriositäten dieses Tages hörten nicht auf. Der staunende Erdenmensch starrte auf diesen, wie er es nannte, Sphäroid.
[Es ist ein Lebenserhaltungsballon.]
Corey sah sich um. Das hatte die Asiatin gerade gesagt. Er schüttelte den Kopf.
Das hat sie
in Gedanken
gesagt.
Selbst das schien inzwischen nur natürlich. Er sah der Frau in die Augen. Gefaßt erwiderte sie den Blick. [Keine Sorge. Im Inneren bist du ganz sicher.]
Er hegte keine Zweifel daran, war aber weit davon entfernt, in die Blase hineinzuspringen. Er begann sie zu betasten. Ihre Haut schien mikrodünn und, ja, sie war durchlässig. Er steckte einen Finger, dann die Hand hinein und zog sie wieder zurück – sie war intakt. Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander – völlig trocken. Aber das Blaseninnere schien eindeutig mit etwasGelartigem gefüllt zu sein.
Aber man fühlt nichts
, dachte Corey. Er gewahrte Patrick hinter sich. Ein Schubser, eigentlich ein Stoß – [Jetzt steh hier nicht blöd herum. Hinein mit dir.] –, und er war jenseits der Blasenhaut.
Sein erster Eindruck galt dem Ploppen in seinen Ohren, als er die gewärmte Blase betrat. Zwei Herzschläge, um die Situation, daß er im Inneren dieses Dings steckte, zu erfassen. Einen weiteren, um zu begreifen, daß er nun von der unbekannten, gallertartigen Substanz umgeben war. Was immer es war, jedenfalls kein Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch. Natürlich würde er nicht ersticken. Das wäre Unfug. Trotzdem fand er seinen Zustand beunruhigend. Er hielt den Atem an. Sein Blick war zunächst verschwommen, klärte sich aber rasch. Er konnte Arme und Beine zwar bewegen, fühlte dabei jedoch nichts.
Er wußte, um ihn herum befand sich eine gänzlich unschädliche Flüssigkeit, irgend etwas aus den Laboratorien einer unfaßlich weit entwickelten Spezies aus den Tiefen des Raumes dieser oder irgendeiner anderen Galaxis, mutmaßlich eine Nährlösung, wie man sie ... er hatte davon gelesen; sollte er jetzt lachen? ... in Zukunft für interplanetare oder interstellare Raumflüge plante. Es war okay, daß er hier hinter der Blasenhaut schwebte. Es war gut so.
Dann – einfach so – holte er Luft.
Das Natürlichste auf der Welt. Luftholen. Keine Angst vor dem Ertrinken. Eher wie das Inhalieren eines heilsamen, perfekt temperierten, sauerstoffgesättigten Stoffes. Die Substanz drang in seine Lungen ein; ob sie von dort
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