Kairos (German Edition)
herausbrechen und auf sie herabregnen. Der Tränengasschleier lichtete sich, aber jetzt legte sich ein Staubnebel über alles. Die Sicht wurde wieder schlechter. Material stürzte hinab, bloßliegende, verdrehte Metallträger wurden sichtbar. Ein Steinblock traf einen rennenden Mann keine zehn Schritte von ihr entfernt. Masse und Wucht des Aufpralls rissen ihm den Kopf von den Schultern. Das Bauteil enthauptete den Mann so schnell und gründlich, daß er von seinem eigenen Schub getragen noch drei Schritte weiterlief, bis er zusammenbrach.
Scheiße, nein
, dachte Nazma und wandte rasch den Blick ab.
Die Haltung der Masse teilte sich in zwei Pole. Die einen schrien noch lauter und schriller und stürmten auf die Ausgänge zu; die anderen verharrten reglos und starrten mit aufgerissenen Augen hinauf.
Es gab eine weitere Erschütterung, einen Hammerschlag, der auf die Erde hieb. Überall krachten Körper zu Boden. Etwas schlug auf dem Hallenboden auf und begrub alles unter sich. Nazma schützte ihren Kopf mit den Händen vor weiteren herabfallenden Brocken, und ein Sturm aus Staub und Dreck brauste durch die Halle. Und dann, so plötzlich, als schlösse man die Augen oder beträte einen stockdunklen Raum, ging das Licht aus. Es schien als geheimes Signal, denn jetzt begannen alle Menschen wie ein Wesen zu schreien. Nazma hörte den Schrei kaum, diese durchdringende, kreischende Lärmexplosion; vielmehr spürte sie ihm am ganzen Leib, am intensivsten im Herzen, ihrem verwundeten, pochenden Herzen.
Finsternis um sie her. Sie hatte keine faßbare Tiefe, diese Finsternis, sondern war absolut. Irgend etwas traf Nazma am Hinterkopf. Weißes Licht explodierte hinter ihren Augen. Ihre linke Gesichtshälfte fühlte sich an, als hätte ein Preßlufthammer sie zertrümmert. Ihr linker Arm wurde taub. Ihre Beine knickten unter dem eigenen Gewicht ein. Nazma ging in die Knie, ahnte nicht, was gerade passiert war. Ihre Gedanken stolperten wirr durcheinander. Plötzlich kippte alles um sie herum. Sie schlug mit den Armen um sich und fiel. Das weiße Licht erlosch abrupt, und dann war die Finsternis auch in ihrem Inneren.
Die Dunkelheit ist ein Ding, das nach sich selbst greift
. Sie spürte ihre Haare sich sträuben, einschließlich der feinen Härchen auf der Haut, als würde gleich ein Blitz einschlagen. Sie spürte es, und dann-
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Corey, ein Hobbyfußballspieler, hatte, während er auf dieses schwebende Oval zugetragen wurde, das Gefühl, als träte er vor einem wichtigen Match aus der Umkleidekabine. Er betrachtete das Objekt eingehend. Dieses ... Ding, so unwirklich es wirkte, war – das wußte er vom ersten Augenblick an – keineswegs eine dem Streß und Blutverlust geschuldete Schimäre, sondern Wirklichkeit. Er hatte nur Augen für dieses ausgeleuchtete Exponat, den schwebenden Ovoid, dieses in der Luft hängende ... Ei. Verblüffend. Er vernahm wieder diese Sphärenmusik. Jetzt war der Ursprung klar, und diesmal kam sie nicht einfach nur aus Richtung der Montagehalle, sondern...
Aus Ahnen wurde Wissen, aus einer verwischten Schwarzweißradierung ein hochauflösendes Hologramm.
Er wußte, es war dieses Schiff, was diese Klänge fabrizierte.
Gedanken im Überfluß. Eindrücke. Originäres Wissen. Eine alte Energie, die in seinem Kopf summte. Zuviel zu verstehen. Corey drohte in diesem Meer aus Gefühlen und Informationen unterzugehen.
Vielleicht ist alles nur ein Traum. Aber: Nein – dies ist kein Traum. Wirklicher kann Leben nicht sein. Ich bin in diesem Augenblick hier und tausche mit dieser ... Wesenheit Gedanken aus. Dies ist die Wahrheit. Dies ist die ganze wahre Welt.
Der Effekt wurde stärker, je näher er dem Schiff kam. Corey sah die Gesichter derer, die ihn trugen. Der Mann mit Vollbart atmete schwer, während jener mit erdfarbener Haut entspannt schien. Von der Frau sah er nur den Hinterkopf, ihr blauschwarzes Haar, und Teile des Rückens. Er hörte sie beim Gehen keuchen und schaute wieder nach vorn. Das Raumschiff. Es kam näher –
ich komme
ihm
immer näher.
Es schwebte, ja wirklich. Es hatte eine Hülle wie flüssiges Eisen, wie Quecksilber, in dem sich unglaubliche Dinge spiegelten. Und es sang. Corey hörte zu. Das Lied bestand aus Milliarden Liedern. Es war das Lied des alles miteinbeziehenden Weltalls, ewig frei in steter Veränderlichkeit. Das Eine, immer gleich, umspielte dies Lied als nichtseienden Kern, ein Nichts, das alles barg. Coreys Verstand wollte bersten. Er sah, erfuhr so viel, daß
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