Kairos (German Edition)
Gefecht.
Treffer Zwei zerstörte Hydraulikzuleitungen, Elektronik, den Bordcomputer. Shatz’ Kontrollpaneel spielte verrückt. Die meisten Anzeigen fielen aus. Der künstliche Horizont vor ihr rotierte; die ganze Welt tat es. Shatz sah den Stummel der linken Tragfläche umknicken. Das dritte Geschoß traf den Treibstofftank.
Talon
Lead wurde ein rollend abwärts jagender, einen Rauchschweif nachziehender Komet. Die Fliehkraft preßte Shatz ins Schultergeschirr. Sie spürte ihre Innereien herumrucken. Das Cockpit schien um sie her zu schrumpfen. Shatz spürte einen Anflug von Klaustrophobie, völlig untypisch für sie, jetztgerade aber real. Ihr Rückgrat und Hals waren zum Zerreißen gespannt. Das Anzugssystem zur Dämpfung der Fliehkräfte arbeitete nicht mehr richtig. Das Blut drohte in Richtung Füße gepreßt zu werden, mit einer Ohnmacht als Folge, aus der Shatz niemals wieder aufwachen würde.
Der Hebel für den Schleudersitz. Sie tastete danach, während sie spiralförmig zur Erde stürzte. Desorientierung raubten ihr die Sinne. Erde-Himmel/Himmel-Erde/Erde-Himmel ... „Mayday!
Talon
Eins – ich schmiere ab!“ Shatz suchte noch immer den Hebel. Sie überkam Todesangst. „Fluchtkurs, Fluchtkurs!“, schrie jemand über Einsatzkomm. Irgendwann auf ihrem langen Fall wurde ihr schwarz vor Augen.
Ich bin,
dachte sie mit letzter Kraft
, Einsätze über Teheran und Ahvaz geflogen, mit einem durchsiebten Jet auf einen im Meer wankenden Flottenträger gekracht.
Sie hatte die Lizenz zum Töten, war schon oft dem Tod von der Schippe gesprungen.
Diesmal, war ihr klar, würde die Sache anders ausgehen. Sie wußte auch, daß dieser Mißmut längstens bis zum Aufprall andauerte.
Zweitausend Fuß.
Tausend.
Fünfhundert.
Das Baumkronenleitsystem ihres Jets heulte auf.
Ziemlich tief, Ram.
Es endete in Flammen. Als Licht über sie hinwegfegte, glaubte Shatz, Hitze zu spüren.
Es gibt schlimmere Tode als einen Feuerball
.
Schwärze raste auf sie zu. Dann das gesegnete Nichts.
31
Im taktischen Flugkommando der Luftverteidigungskontrolle herrschte blankes Entsetzen, als Echosignaturen der Reihe nach erstarben. Abstürzende Flugzeuge schufen ein schwächer werdendes Impulschaos. Die Stimmen des Kampfnetzes wurden spärlicher, brachen dann ganz ab und wichen und Statikprasseln.
Der Funkchef schlug mit der Faust auf die Tischplatte. Er riß er sich die Kopfhörer herunter, warf sie durch den Raum. „
Talon
Lead“, sagte er.
Paul Blaskowitz wirkte wie ein gealterter Olympionike. Nichts verriet seine Panik. Er verfiel einem Tunnelblick; alles verblich im psychedelischen Blinzeln der Warnlichter. Klar und deutlich sah er nur die roten Feindblips der Dornen. Sie gingen weiter hinunter.
Landeten.
32
Nacht. Alles im Flutlicht, die Ebene, die Felsen, die Soldaten, das Kriegsgerät.
Der Dorn.
Er stand vor ihnen, hundert Meter weg, starr und unheimlich, ein Stachel, die Spitze dicht über dem Boden, umgeben von einem Kordon aus Verteidigungsposten der Infanterie, leichter und schwerer Artillerie und MG-Nestern, deren Feuerbereich dasAreal bis zum Dorn abdeckte. Mehr Stellungen, geschützt durch eine elektrische Barriere, waren in den Fels getrieben worden.
Die Verteidiger hatten angegriffen. Schlanke, stromlinienförmige Eurocopter mit Raketenkammern an den Flanken waren über die Soldaten gestoben und hatten das Objekt unter Feuer genommen. Eine Partikelkanone – ein magnetischer Teilchenbeschleuniger – verschoß Blitzstrahlen aus Hochenergieprotonen. Der Rauch war verzogen und der Dorn unversehrt. Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper, bestückt mit Tempoexplosivmunition und teflonbeschichteten Wolframkerngeschossen, entstiegen den Lafetten in den Felsen. Hunderte platzende, ballonförmige Wölkchen. Detonationen und Schockwellen ließen die Männer und Frauen in den Gräben in die Knie gehen. Gasfontänen brodelten auf sie zu, vernebelten die Scheinwerfer.
Das Bombardement verebbte. Soldaten starrten durch Latexschutzbrillen und Retinasucher in das Gemisch aus Qualm und Sand.
Unnatürliche Stille.
Man hob die Köpfe. Blicke hoben sich … hoben sich weiter. Und da stand der Dorn.
Einen guten Tag zum Sterben
, dachte der Infanterist Jurrien Riviera,
gibt es nicht
.
Es gibt schlechte und weniger schlechte. Am Ende ist es egal, wann man geht.
Riviera hielt sich für gefeit. Er hatte viel erlebt. In dem 33er Baskenkonflikt, als letztmals ein ETA-Kommandant namens David Mexes sich gegen die spanische Krone
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