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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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auflehnte, um Unabhängigkeit zu erzwingen, hatte Riviera im Dienst der Europäischen Streitkräfte unter Oberbefehl eines Brüsseler Vier-Sterne-Generals gegen die eigenen Leute gekämpft. Er hatte die Aufgabe angenommen. Staatenbund blieb Staatenbund. Hochdekoriert war er aus dem keine Woche dauernden Konflikt hervorgegangen. Kaum ein Aufständischer hatte den Tod gefunden. Die Unionstruppen hatten mit Gummi- und Schaumstoffgeschossen und Schlafgas in den Pyrenäen gekämpft, mit Vorsicht und Präzision. Riviera selbst hatte niemanden getötet. Gedankt hatte man es ihm mit dem Clanausschluß. Damals dachte er, Heimat und Identität – Identität durch Heimat – wären nicht alles.
    Jetzt – angesichts der Bedrohung von den Sternen – verwarf er diese Ansicht. Heimat und Identität waren alles, und die Menschen dabei, sie zu verlieren.
    Etwas regte sich im Rauch. Riviera positionierte seine Retinaprojektoren. Dann fuhr er die Benutzeroberfläche der Gewehrsoftware hoch. Er schaltete Gyroskope und Akkumulatoren zu. Die doppelläufige Schulterwaffe zitterte und wimmerte in seinen Händen: Energiezellenladung. Riviera riß, synchron mit seiner Einheit, den Waffenarm hoch, stellte die Automatik, um Munition zu sparen, auf Einzelfeuer, zugleich er mittels Teleoptik eine negative Wärmeortung erstellte.
    Die Dreckskerle schirmen sich ab.
    Geräusche und Schatten. Wortfetzen in seinem Ohr; Muster im Staub. Iberische Nacht. Seicht, warm.
    Das Erwarten der Dinge. Dies Fügen. Momente stiller Kontemplation. Des Grausen und Mitleids.
    Riviera fand die Situation lächerlich absurd, unwirklich, doch der Umstand, daß er ein Teil von ihr war, Kämpfer dieser Schlacht, ließ ihn ›lächerlich‹ und ›absurd‹ mit ›gräßlich‹ und ›imposant‹ ersetzen.
Die Realität ist das Phantasiemaß, auf das wir uns allgemein verständigen.
Ein Spruch. Von früher.
Strukturen stürzen ein; Neues entsteht. Permanente Veränderlichkeit. Dinge in der Finsternis. Im Licht. Dinge im Staub.
    Im Zwielicht.
    Riviera verkrampfte. Seine Soldateninstinkte regten sich. Induktives Denken warnte ihn. Eingebung, fern des Technogottes.
    Vorahnungen. Häßliche Bilder. Unheil.
    Komm schon, Soldat!
    Seit ihn über einen codierten Armeesender seines Pads der Marschbefehl ereilt hatte, erhob sich immer wieder eine Frage:
Was geht hier vor?
Keine Antwort bislang.
Was, verdammt?
    Auflockerungen. Sein Anzug knirschte. Die Apparatur schien auch nervös. Riviera wartete weiter. Die Energiezellen lagen wie Blei in seiner Tasche. Trockener Mund. Der pelzige Nachgeschmack der Fruchtstange der letzten Zuteilung. Neben ihm erbrach wer in seinen Helm. Riviera sah nicht hin. Sah nach vorn. Ins Nichts. In sich selbst. Und sah...
    Innere Sphären. Lichtdurchflutet im Moment der Wahrheit. Kristallklares Sehen, das Verstehen ist. Dunkle Vorfreude auf die letzte Grenze.
    Erkenntnis. Schock. Tod & Erlösung.
    Auferstehen.
    Riviera hörte den Sturm. Er hörte Kriegstrommeln und Schreie. Er betrachtete den Sand zu seinen Füßen, feine Körner, Spiele desWindes, ein, versöhnliches Bild, wie er fand. Dann spürte er den Boden Zittern. Schritte. Massenhaft. Er sah auf, unwissend, hoffend – nein, wissend und hoffnungslos.
    Es beginnt.
    Das Zittern endete. Wirbel formten sich im Rauch und Staub. Beides zerriß in einem Luftzug. Der Feindtrupp wurde offenbar. Er stand geschlossen da, reglos; Sondierung, ehe man losschlug.
    Shumgona.
Riviera sah sie deutlich:
Als wären es Menschen von der Erde.
Zwei Arme und Beine. Auf dem Rumpf ein Kopf. Nach hinten gebogener Helm, horizontal drei Augen, hinter denen es türkisgrün glomm. Die Shumgona erhielten einen ihrer vielen Namen: Dreiaugen. Sie steckten in altertümlich wirkenden High-Tech-Rüstungen, die aussahen wie aus Rost. (Aber natürlich war es kein Rost. Für Rost braucht es die Elemente Eisen und Sauerstoff, die miteinander reagieren. Diese Rüstungen waren nicht aus Eisen; und Sauerstoff konnte ihnen nichts anhaben.) Aber da war noch mehr.
Die Bestien.
Auf ihren Schultern. Alles andere als menschlich. Wie mesozoische Untiere. Schnattern und Kreischen. Schwarze Facettenaugen. Geiferndes Maul mit vielen Zähnen. Sie schüttelten ihre Schädel; Speicheltropfen flogen durch die Luft. Sie waren Geschöpfe aus Geschichten, die man sich nachts am Kamin erzählte, um Kinder in die Betten zu jagen.
    Drachen.
    Er machte ein Ziel aus und zog den Doppelabzug bis zum Druckpunkt. Das Fadenkreuz schnitt einen Shumgona mitsamt seinem

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