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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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Krieg, und immer sah ich die von der Clique, oft in ihren Uniformen, und sie sahen mich, sprachen sogar mit mir. Jeder einzelne hätte fragen können: »Wieso bist du noch da? Warum trägst du keinen Judenstern? Was ist mit dir los?« Ich bekam Herzklopfen, wenn ich einen von weitem kommen sah. Doch keiner fragte.
    Ich erinnere mich, mitten im Krieg einmal Paul auf der Freßgasse getroffen zu haben. Er war als Soldat an der Front und für einige Tage auf Urlaub. Überrascht fragte er mich: »Haben sie euch denn nicht geholt?«
    Ich antwortete: »Du siehst es ja, wir sind da, auch meine Eltern und Alex und Paula.«
    »Wieso? Das verstehe ich nicht. Ich dachte -«
    »Du hast falsch gedacht, Paul, bei uns ist alles in Ordnung.«
    Und Paul sagte: »Um so besser, wenn ihr keine Juden seid.« Wir sprachen noch einige belanglose Worte miteinander und trennten uns wie alte Freunde.
     

Der Weltreisende
    Unser Hinterhof war ein Ort immerwährender Geschäftigkeit. Menschen kamen und gingen, Handkarren zuckelten hin und her, oder Spenglermeister Reiter knatterte mit seiner »Horex«-Seitenwagenmaschine in den Hof, daß die Spatzen davonstoben. Häufig konnte ich die Geschicklichkeit der Kutscher bewundern, wenn sie mit lautem »Brrr« und »Hüh« ein vollbeladenes Pferdefuhrwerk rückwärts durch den langen Hauseingang und dann im scharfen Winkel in den hinteren Hof bugsierten, um dort Fässer und Flaschen in die tiefen Kellergewölbe der Weinhandlung zu schaffen. Ich hätte nicht zum Fenster hinauszuschauen brauchen, um zu wissen, was abgeladen wurde. Der Geruch der Weinfässer war so stark, daß man ihn noch im zweiten Stock bemerken konnte.
    Roch es dagegen nach Käse, dann war der Lagerarbeiter vom Käs-Petri damit beschäftigt, aus dem Käselager, das sich neben dem hinteren Hauseingang befand und den Hinterhausbewohnern Mäuse und Kakerlaken in Mengen bescherte, Schweizerkäse in die Freßgasse zu transportieren. Zuvor zerteilte er die großen Käseräder in zwei Hälften. Das machte er mit einem einfachen Werkzeug. Es bestand nur aus einem dünnen Stahldraht, der an der einen Seite einen Holzgriff, an der anderen eine Schlinge hatte. Die Schlinge hängte er an einem gebogenen Nagel am unteren Karrenteil ein, legte den Draht der Länge nach genau auf die Mitte der Pritsche und den Käselaib auf den Draht, dann stemmte er den Fuß gegen den Käse, damit er nicht wegrutschte, und zog den Draht am Holzgriff der Länge nach durch.
    Wenn aber der Gestank verbrennender Schweißdrähte ins Fenster drang, wußte ich, daß der Fahrradmechaniker und -reparateur Wagner in seiner Werkstatt wieder ein Rennrad zusammenbaute. Seine handgefertigten Rennräder waren weit über Frankfurt hinaus bekannt.
    Ganz anders roch es dagegen, wenn Herr Schmidt, der Fahrer vom persischen Teppichhändler Janny, im vorderen Hof unter unserem Wohnzimmerfenster Teppiche wusch. Es roch dann wie nach verbrauchter Waschbrühe, der man viel Salmiak und einen Schuß Fliederduftessenz beigemengt hatte. Herr Schmidt schrubbte die wertvollen Stücke aus dem Orient mit seiner Spezialbrühe so heftig, daß die bunten Wollflocken später den Hof bedeckten, als sei dort ein Blumenbeet. Mindestens zweimal habe ich ihn bei Dunkelheit, als in den Werkstätten im Hof längst Feierabend war, mit einer Dame aus dem Vorderhaus in der Garage, die gleichzeitig als Lagerraum für die Teppiche diente, verschwinden sehen.
    Aus einer Ecke des hinteren Hofs roch es eine Zeitlang nach frischer Ölfarbe. Dort geschah etwas Besonderes: ein Hausbewohner bereitete sich auf eine Weltreise vor. Er gehörte zu dem Millionenheer der Arbeitslosen. Während seine Frau an fünf verschiedenen Zugehstellen putzen ging, um ihre vier Mädchen satt zu bekommen, versuchte er, sich bei einem der Handwerker im Hof für ein paar Groschen nützlich zu machen. Die übrige freie Zeit bastelte er an irgend etwas herum, hatte tausend Ideen und Pläne im Kopf, die er mit jedem besprach, der bereit war, ihm zuzuhören, sogar mit mir, obwohl ich noch ein Kind war, kaum zwölf Jahre alt. Deswegen mochte ich ihn.
    Er beschrieb mir ein Fahrrad mit Federaufzug, auf dem man mindestens zehn Kilometer fahren konnte, ohne zu treten, und dessen Konstruktion er komplett im Kopf hatte, und eine todsichere Alarmanlage gegen Kellereinbrüche, damit sich in diesen Notzeiten die Leute nicht mehr gegenseitig das Eingemachte, die Kartoffeln und die Kohlen aus den Kellern klauen konnten. Er fühlte sich verkannt und

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