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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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übertriebenen Zuneigung zu Kindern. Sie zog sich selbstgeschneiderte Kleider an, mit Vorliebe aus schwarzem Spitzenstoff, auf die sie große bunte Blumen genäht hatte, setzte sich den größten Hut ihrer Kollektion auf mit ausladenden Pleureusen in Süßlila und ging nie ohne einen rüschenbesetzten Sonnenschirm aus dem Haus. Auffällig war auch ihr tänzelnder Gang. Sie machte ganz kleine Schritte und bewegte den Oberkörper geziert nach links und rechts, wie wenn ein Mann die Gehbewegungen einer Frau nachmacht. Rief einer von uns Buben ihr in einem bestimmten Singsang »Anna Anna Leutze« nach, dann spannte sie ihren Sonnenschirm auf, nahm ihn mit zwei Händen über die Schulter, lächelte dem Kind neckisch zu und verstärkte ihre Tänzelschritte.
    Ihr Wohnzimmer mit der phantastischen Unordnung war Treffpunkt aller Kinder unseres Hauses. In Anna Leutzes Zimmer hielten sich ständig fünf, sechs Kinder auf, die machen durften, was sie wollten. Wir spielten am liebsten Verstecken in Schränken, in der Kommode oder unterm Bett, und sie schimpfte nur freundlich, wenn wir in ihr Arbeitszimmer wollten, denn sie hatte täglich eine bestimmte Anzahl Hüte anzufertigen und mußte sich sputen. Oft spielten wir auch Theater und benutzten dazu ihre Kleider. Auch dagegen hatte sie nichts. Ab und zu kam sie zu uns herüber, um uns zu ermahnen, nicht so laut zu sein, damit sich die Nachbarn nicht beschwerten, oder um uns Kekse und ein Glas Himbeerwasser zu bringen.
    Auch sonst zeigte sich ihre merkwürdige Schwäche für Kinder. So ging sie an keinem Kinderwagen vorbei, ohne sich hinunterzubeugen, mit dem Säugling zu schäkern und dann der Mutter einige Worte des Entzückens über das Kleine zu sagen. Wenn sie sah, wie ein Kind geschlagen wurde, mischte sie sich grundsätzlich immer ein und machte den Großen heftige Vorwürfe.
    So war sie, närrisch, lieb und harmlos. Viele Jahre lebte sie friedlich unter uns, bis einer der Burschen aus der Kaiserhofclique entdeckte, daß man an der Straßenfront des Hauses über einen Absatz in ihr Fenster klettern konnte. Von da an hockten immer einige aus der Clique in ihrem Zimmer herum oder saßen auf der Fensterbank und ließen die Beine nach draußen baumeln. Sie war machtlos dagegen und mußte die Burschen gewähren lassen. Jetzt wurde in Anna Leutzes Wohnzimmer nicht mehr Krankenhaus oder Schule, Verstecken oder Theater gespielt, jetzt wurden böse Streiche ausgeheckt und Straßenkämpfe gegen die Meisengassenclique beraten.
     
    Auch ich gehörte zur Kaiserhofclique, obwohl ich jünger als die andern war und außerdem klein, schmächtig und verängstigt. Ich prügelte mich nicht, wurde immer nur von den Jungen der Meisengassen- oder Hochstraßenclique verprügelt, wenn sie mich erwischten. Die Prügel bekam ich, weil ich der Kaiserhofclique angehörte. Sie taten mir aber auch Schlimmeres an. Eines Tages beispielsweise schnappten mich zwei von der Meisengassenclique und zwangen mich, mit in die Zwingergasse zu gehen. Ganz hinten, wo einige alte Schubkarren standen und uns niemand sehen konnte, drehte mir einer beide Arme nach hinten. Der andere knöpfte sich in aller Ruhe den Hosenlatz auf, holte seinen Pimmel heraus und pißte mir gegen die Beine. Die beiden Meisengässer wollten sich totlachen, als ich betröppelt und weinend abzog.
    Ich vermute, die Großen hatten mich nur darum in die Kaiserhofclique aufgenommen, um jemanden zu haben, den sie herumkommandieren und auf dessen Kosten sie sich lustig machen konnten. Ich empfand deutlich das Entwürdigende ihrer Spaße mit mir, war aber nicht imstande, mich dem zu entziehen, denn aus der Clique konnte man nicht freiwillig austreten, man konnte nur ausgestoßen werden.
    Die Jungen von der Clique - Holle, Schorschi, Hans, Paul und wie sie alle hießen - waren nicht böse, sie langweilten sich einfach. Ihre Eltern, meist Geschäftsleute mit dem Kopf voller Sorgen um den täglichen Umsatz, hatten nie Zeit für sie. Oder sie kamen aus den dunklen Hinterhäusern mit zu vielen Menschen auf zu kleinem Raum und waren um jede Stunde froh, die sie aus diesem Zuhause flüchten konnten.
     
    Alles Gezeter, alle Verbote der närrischen Modistin halfen nichts, die Burschen kamen trotzdem, und sie kamen grundsätzlich nur noch durchs Fenster. Wenn Anna Leutze einmal gar zu sehr schimpfte, drängte man sie kurzerhand in ihr Arbeitszimmer, schloß es ab und schüchterte sie zudem noch mit wilden Drohungen ein. Die Clique trieb es immer ärger, und

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