Kaiserhof Strasse 12
Beschaffungs-, sondern ausschließlich Finanzierungssorgen, denn die geschäftstüchtige Thekla verlangte auch von mir den Schwarzmarktkurs. Da fiel mir etwas ein. Die Bezugskarten hatten dreißig Nummernfelder, von denen immer nur ein Teil zum Kaufen von Tabakwaren aufgerufen wurde. Eigentlich könnte es nicht schwer sein, überlegte ich, mit Radiermesser, Feder und Tusche die ungültigen Nummern in gültige umzuwandeln, zum Beispiel eine Sieben in eine Eins, eine Drei in eine Acht, eine Acht in eine Drei, eine Neun in eine Null, und so weiter. Ich probierte es aus und legte der schwarzen Thekla einige Musterkorrekturen vor. Es war eine saubere Arbeit, und Thekla ließ sich mit mir auf einen riskanten Handel ein. Sie übergab mir jeweils kleinere Posten der Karten, die sie von ihren Kunden in Verwahrung hatte, und ich veränderte die Zahlen entsprechend den Aufrufen. Dafür erhielt ich ein Drittel der durch meine Manipulation zusätzlich gewonnenen Zigaretten. Thekla gab mir immer mehr Karten zum Korrigieren. Doch es war ein Stoßgeschäft, weil wir immer auf die Aufrufe warten mußten. Darum versuchte ich auch schon mal während der Mittagspause, wenn ich allein im Konstruktionsbüro war, die Karten zu präparieren. Näherte sich jemand, deckte ich sie schnell mit einem Zeichenblatt ab. Einmal aber war es zu spät. Bevor ich sie verschwinden lassen konnte, stand Prokurist Metz hinter mir. »Was soll das? Radieren Sie etwa an der Zigarettenkarte herum?«
»Nein, nein, ich habe nur versucht...«
»Versucht?« Er riß die Karte unter der Reißbrettschiene hervor und hielt sie sich vor die kurzsichtigen Augen. »Sie sind wohl wahnsinnig! Dafür können Sie ins Zuchthaus kommen! Wegen ein paar lächerlicher Glimmstengel bringen Sie sich um Kopf und Kragen! Mensch, Senger, lassen Sie die Finger davon!« Er warf die Karte auf das Zeichenbrett zurück. Ein Glück, daß alle anderen Arbeitskollegen zu Tisch waren und uns niemand beobachten konnte.
Die nächsten Tage verbrachte ich voller Angst, doch Prokurist Metz zeigte mich nicht an. Mir war die Lust am Fälschen von Zigarettenkarten gründlich vergangen.
Noch leichtsinniger allerdings benahm ich mich ein Jahr später, als ein Arbeiter mir, seinem Vorgesetzten, gefälschte Lebensmittelkarten übergab, sogenannte Reise- und Gaststättenmarken, die von englischen Flugzeugen abgeworfen worden waren. Ich mußte sie der Polizei abliefern, eine andere Verwendung war bei Todesstrafe verboten. Es mögen etwa zehn Bogen gewesen sein, die von den echten Karten nicht zu unterscheiden waren. Ich lieferte jedoch nur die Hälfte ab, die andere Hälfte behielt ich für mich. Zwei Bogen tauschte ich sogar bei der schwarzen Thekla gegen Zigaretten ein, ohne ihr zu sagen, woher sie stammten.
Mein Freund und Arbeitskollege Heinz Kreuter heiratete im Juni 1944 Irmgard Dröll, die zu unserer illegalen Betriebszelle gehörte. Ich war sehr traurig darüber, denn sie war durch mich nicht nur zur Antifaschistin geworden, ich hatte sie auch sehr gern. Aber die von Mama geprägten Verhaltensweisen hinderten mich daran, ihr meine Liebe zu gestehen. So ging ich denn als Trauzeuge mit aufs Standesamt. Doch nicht nur deshalb ist mir die Hochzeitsfeier in guter Erinnerung geblieben, sondern wegen der interessanten Zusammensetzung einer politischen Tischrunde, die übrigblieb, als sich am Abend die Verwandtschaft zurückzog. Am Kopf des Tisches saß Pfarrer Grimm von der Johannisgemeinde, der die Judenverfolgungen und die Euthanasie verurteilte und deswegen schon im Gefängnis gesessen hatte, dann das Brautpaar unserer illegalen Zelle, mein Bruder Alex, der mit Irmgards Schwester befreundet war, und ich, der Trauzeuge; eine Gesellschaft, die den Nazis gewiß für einige Jahrzehnte Zuchthaus oder KZ gut war und die bis weit nach Mitternacht die politische Lage besprach und sich darüber einig war, daß der Zusammenbruch des Hitlerregimes in greifbarer Nähe liege.
Fünf Jahre später wurde Irmgard dann doch noch meine Frau.
Als die Isenburger Lis die Juden roch
Im Gasthof »Weilquelle« auf der Kreuzung zwischen Ober- und Niederreifenberg im Taunus lernte ich Lis kennen. Sie war in Neu-Isenburg zu Hause, hatte mit ihrer Arbeitskollegin Marga eine Radtour gemacht und in der »Weilquelle« eine Mittagspause eingelegt. Ich setzte mich mit meinem Freund René zu ihnen an den Tisch und wir kamen uns schnell näher. René hatte ein Auge auf Marga, und ich beschäftigte mich mit der kleinen und
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