Kaiserhof Strasse 12
Erzählerin, fast eine Scheherezade in den kopfsteinbepflasterten Niederungen käuflicher Liebe. Sie schilderte ihre Nürnberger Zeit vor 1933, in der auffallend viele Juden vorkamen, die - wahrscheinlich nur mir zuliebe - alles gute und anständige Freier waren, ohne die ekelhaften Sonderwünsche. Dann die Jahre nach 1933, als es häufig vorkam, daß man sie und andere Prostituierte aus ihren Quartieren in den Deutschen Hof holte, wo sie hohe Naziführer zu bedienen hatten, und wie sie sie betrunken gemacht und drangekriegt habe. Was sie in dieser Nacht von einem Hurenleben zu erzählen wußte, war ein prallvolles Nürnberger Decamerone, gewürzt mit einem Schuß Josefine Mutzenbacher.
Zwischendurch tranken wir Kognak aus der Flasche, die neben dem Bett stand, und vergaßen natürlich auch nicht das Wichtigste. Rosa erzählte, es wurde spät, sehr spät in der Nacht, und sie erzählte immer noch. Sie sagte, ich solle bei ihr schlafen. Sie wußte ja nicht, daß Mama zu Hause wartete - und wie sie wartete!
Mit einer Lüge - ich konnte ihr unmöglich die Wahrheit sagen - verabschiedete ich mich. Rosa war verärgert, weil sie mit hinunter mußte, um mir die Haustür aufzuschließen. Es mag drei oder vier Uhr morgens gewesen sein. Ich rannte nach Hause. Mit zitternder Hand drehte ich den Schlüssel im Schloß.
Ich hätte mit einem Watteschlüssel öffnen können, du hättest es gehört, Mama. Du mußtest es hören, hattest ja die ganze Nacht nicht geschlafen und auf mich gewartet, aufrecht im Bett sitzend, mit drei Kissen im Rücken.
Im ärmellosen Flanellnachthemd kamst du ins Wohnzimmer, hast geweint und gestöhnt, die Hände gerungen und Gott gefragt, mit was du das verdient hättest. Und dann kam Papa aus dem Schlafzimmer, in langen Unterhosen und mit rundem Rücken. Auch er hatte die Nacht kein Auge zugetan. Er sagte nichts, aber mit Gebärden unterstrich und verstärkte er jeden deiner Ausrufe und schüttelte verzweifelt den Kopf über den mißratenen Sohn. Schließlich sagtest du, Mama, wie so oft: »Du bringst uns noch alle ins Unglück! Oh Gott!«
Das war das Schlimmste. Hättest du erst von Rosas Überraschung über das »Juddeschwänzche« gewußt!
Erschöpft sankst du in einem Stuhl zusammen, dein krankes Herz machte nicht mehr mit, es war einfach zu viel. Papa brachte mit schlurfenden Pantoffeln eilends ein nasses Handtuch und du schobst es durch den Ausschnitt des Nachthemds unter die linke Brust.
Wie elend war mir zumute. Vielleicht hattest du wirklich recht, Mama, und ich habe nur an mich gedacht und an mein Vergnügen. Aber da waren noch Papa, Alex, Paula und du, Mama, und ihr konntet von mir verlangen, daß alles, was ich tat, die Rücksicht auf euer Leben, eure Sicherheit, mit einschloß. Gern hätte ich dir über das graue Haar gestreichelt, Mama. Ich habe mich nicht getraut.
Für einen Juden war es in dieser Zeit ganz und gar unpassend, so gewöhnliche Triebe zu haben. Ich weiß es, ich wußte es auch damals, und ich schämte mich entsprechend. Aber ob mir darüber die Schamröte kam oder nicht, ich hatte sie nun mal, die Triebe.
So ist es nicht verwunderlich, daß ich mich drei Nächte später wieder in die Vogelsgesanggasse schlich, zu der Dirne Rosa, um mit all meinen Sinnen zu spüren, wie eine Frau schmeckt, die man mit Kopf und Bauch mag: nach Moschus und Rosen, Muskat und billigem Parfüm, nach Fisch, Salz und Erde.
Und Rosa nahm mich an, so wie ich war. Immer wieder wußte sie noch etwas Neues zu erzählen.
Ihre schäkernde, öfters wiederholte Koseform »mei Juddeschwänzche« konterte ich eines Nachts, übermütig geworden, mit der Frage: »Und wenn ich einer wäre?« »Geh, weiß ich doch, was soll's. Behalt's für dich.«
Das war alles, kein Wort mehr von ihr, keines von mir. Aber das ist der Grund, weshalb ich dieses Kapitel über Rosa schreibe.
Als ich eines Abends zu Rosa kam, war sie sehr niedergeschlagen. Irgendwer hatte an das Internat, in dem ihre Tochter lebte, geschrieben und die Leiterin auf Rosas Gewerbe aufmerksam gemacht. So erzählte sie es mir, und ich glaubte ihr Wort für Wort, und ich hätte den verprügeln können, wenn ich überhaupt hätte prügeln können, der diese schöne traurige Geschichte in Zweifel gezogen hätte. Sie sagte, sie zittere vor Angst, ihre Tochter könne von dem Brief erfahren und sich von ihr abwenden. Und dann weinte sie so sehr, daß auch mir die Tränen kamen.
Sie war untröstlich. »Was gibt es doch für schlechte
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