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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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unangenehmen Geruch, eben den typisch jüdischen Geruch.«
    Zu diesem Zeitpunkt hörte der Geruch unserer Liebe auf, betörend zu sein, jetzt roch es nur noch.
    Lis fuhr fort: »Wenn du eine so empfindliche Nase hast wie ich, kannst du einen Juden unter hundert Christen herausfinden.«
    Sie war sehr besorgt, als ich ihr sagte, mir sei plötzlich gar nicht gut. Ich kletterte schnell auf die obere Pritsche und schlief die Nacht allein. Sie verstand auch nicht, warum ich unser Verhältnis ohne eine Erklärung beendete.
     

Die Dirne Rosa
    Die Verdunklung während des Krieges, die die Bevölkerung vor Bombenangriffen schützen sollte, verschaffte mir den Vorteil, daß ich unbemerkt von der Trierischen Gasse durch den großen Torbogen in die Dirnengasse gelangen konnte. Sie war eng und dunkel, die Männer, die, an die Hauswände gedrückt, herumstanden, waren kaum zu erkennen. Sie hieß Vogelsgesanggasse und hatte zur Schnurgasse ein leichtes Gefälle.
    Ab und zu öffnete sich eine Haustür, ein schwacher Lichtschein fiel auf die steinernen Vordertreppen und auf wenige Quadratmeter Kopfsteinpflaster, der Schatten eines Mannes huschte ins Dunkel der Gasse, oder es wurde in der angelehnten Haustür getuschelt, verhandelt, und dann verschwand der Schatten in der knapp geöffneten Tür.
    Viele Male war ich nachts in einer der Dirnengassen gewesen, hatte es aber nur selten gewagt, in den dünnen Lichtspalt zu treten, nach dem Preis zu fragen und mich mit nach oben nehmen zu lassen.
     
    Es war im Spätsommer 1941, und ich stand wieder einmal in der Vogelsgesanggasse und wagte nicht, eine Prostituierte anzusprechen. Da sah ich eine Frau leicht schwankend die Gasse herunterkommen. Als sie noch drei oder vier Meter von mir entfernt war, löste sich ein Mann von der Hauswand und trat auf sie zu. Wahrscheinlich einer wie ich, der ihr ein Angebot machen wollte. Später behauptete sie, er habe ihr die Handtasche abnehmen wollen. Wie dem auch sei, als der Mann auf sie zutrat, machte sie eine schnelle Abwehrbewegung, rief etwas wie »Hau ab, du Dreckskerl« und kam ins Stolpern. Sie hielt sich an mir fest, fluchte und tastete nach einem Schuh, der ihr beim Stolpern vom Fuß gefallen war. Der Mann war mittlerweile verschwunden.
    Ich erkannte die selten günstige Gelegenheit, hob den kleinen Blumenstrauß auf, der ihr aus der Hand gefallen war, und den Schuh, an dem ein Knopf oder eine Schnalle fehlte. Während ich ihr half, mit nur einem Schuh die Gasse hinunter zu ihrer Absteige zu humpeln, fragte ich sie, ob ich mit ihr nach oben kommen könne.
    »Junge, heute geht's nicht, siehst doch, wie blau ich bin, komm morgen, frag nach der Rosa.«
    So lernte ich Rosa kennen - und in der darauffolgenden Nacht richtig. Zwar schickte sie mich auch da zuerst fort, aber mit der Aufforderung, in etwa einer Stunde wiederzukommen, wenn keine Freier mehr auf sie warteten.
    Und sie nahm mich mit ins Bett. Nicht so, wie normalerweise Dirnen ihre zahlende Kundschaft bedienen, mit hochgeschlagenem Rock und vorne geöffneter Bluse auf dem Sofa an der anderen Wandseite, sondern wir zogen uns beide richtig aus. Rosa behielt nur ein kleines boleroartiges Wämschen an, weil sie etwas erkältet war und fror. Ich erinnere mich noch genau: Wir rauchten zusammen, im Bett sitzend, eine Zigarette, Rosa erzählte mir von ihrer dreizehnjährigen Tochter, die sie irgendwo im Fränkischen im Internat hatte und die nicht wissen durfte, was ihre Mutter in Frankfurt trieb.
    Als dieses Thema erschöpft war, erzählte mir Rosa von ihrem Geburtstag, den sie am Abend zuvor mit einigen Freundinnen bei so einem »miesen Nuttenbescheißer« von Wirt gefeiert hatte, weshalb sie auch so betrunken gewesen war. Fast entschuldigend sagte sie: »Ich schluck schon was weg, aber besaufen tu ich mich selten.« Und später: »Bist sauber, Junge? Kein Tripper? Wir nehmen keinen Gummi. Da hat man ja nichts von. Laß mal sehen.« Sie drückte an meiner Eichel, spannte sachkundig die Vorhaut leicht an und sagte erstaunt: »Du hast ja e Juddeschwänzche!«
    Ich muß in diesem Augenblick sehr verdattert ausgesehen haben, aber bevor ich noch antworten konnte, ergänzte sie beruhigend: »Macht doch nix, ist mir doch egal, wer du bist.« Und sie gab mir einen freundlichen Klaps auf die Backe.
    Es war eine aufregende und ereignisreiche Nacht, denn Rosa war nicht nur eine vorzügliche Lehrerin und ich ein gelehriger Schüler, sie war auch von einer ansteckenden Lustigkeit und eine wirklich begabte

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