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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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ihre »Verfehlungen« zu decken. Von der Personalabteilung wurde ihm angedroht, daß man sofortige Meldung bei der Gestapo machen werde, wenn sich herausstellen sollte, daß er nicht alles anzeige, was er aus dem Lager der Russinnen erfahre.
    Papa war sehr erschrocken, möglicherweise hatte er gar nicht daran gedacht, daß ihn die Hilfe für die Russinnen einmal in solche Gefahr bringen könnte. Er war eher ängstlich, nie mutig und schon gar kein Held.
     

Von den Toten auferstanden
    Papa wurde nun vorsichtiger im Umgang mit den Russinnen. Dennoch blieb das besondere Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den Frauen nicht unbemerkt. Zu viele Augen beobachteten ihn. Und da er für diese schwierige Aufgabe zu gutgläubig war, wurde er oft von den Frauen überredet, sich für Forderungen einzusetzen, die keine Aussicht auf Erfolg hatten und die Vorgesetzten verärgerten.
    Auch bei den Kollegen kam er mit der Zeit ins Gerede, weil er ständig bemüht war, die Arbeitsbedingungen der Russinnen menschlicher zu machen und für Verbesserungen im Lager zu sorgen. Immer häufiger warf man ihm vor, daß er sie »mit Samthandschuhen« anfasse und sie dazu veranlasse, sich bei jeder Kleinigkeit zu beschweren. Wohlgesinnte Kollegen warnten ihn, aber er nahm solche Warnungen offenbar nicht ernst genug. Einmal sogar paßte ihn eine Sekretärin der Personalabteilung auf dem Flur ab, um ihm zu sagen, daß man seit einiger Zeit Belastungsmaterial gegen ihn zusammentrage.
    Schließlich machte man ihn für alles, was die russischen Frauen betraf, verantwortlich: zu häufige Arztbesuche, Diebstähle, Streitigkeiten der Frauen mit deutschen Arbeitern, zu hoher Ausschuß in der Produktion. Trotzdem wollte er die Frauen nicht im Stich lassen. Er meinte, sie könnten ohne ihn nicht auskommen. Vielleicht glaubte er auch, daß man einen alten Mann nicht so schnell belangen werde.
    Um so mehr war er deshalb von dem überrascht, was am 7. Dezember 1943, wenige Tage vor seinem dreiundsiebzigsten Geburtstag, geschah. Als Papa am Morgen dieses Tages mit den Frauen, wie üblich, kurz vor acht Uhr in Sachsenhausen ankam, teilte man ihm mit, in der Personalabteilung warte die Gestapo, diesmal aber nicht wegen einer Russin, diesmal warte sie auf ihn.
    Im Personalbüro erklärten ihm die beiden Beamten, daß er vorläufig festgenommen sei und zum Verhör ins Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei in die Lindenstraße mitzukommen habe. Er durfte weder an seinen Spind im Umkleideraum gehen noch Kontakt mit Kollegen aufnehmen und auch mit niemandem vom Büro sprechen. Die Gestapobeamten schlugen ihm sogar die Bitte aus, seine Frau von der Festnahme zu unterrichten. Dem Leiter der Personalabteilung wurde ausdrücklich verboten, unsere Familie zu verständigen. Das werde die Gestapo zu gegebener Zeit selbst tun, erklärte einer der Männer.
    Trotzdem erfuhren wir es noch am gleichen Vormittag. Eine Frau aus dem Betrieb, vermutlich war es die gleiche Sekretärin, die Papa schon einmal gewarnt hatte, kam zwei Stunden später in die Kaiserhofstraße. Sie berichtete im Halbdunkel des Treppenhauses meiner Mutter, die sich allein in der Wohnung befand und ihr die Tür öffnete, was geschehen war, und verschwand schnell wieder. Damit ging sie ein großes Risiko ein - und sie tat es, obwohl sie Papa kaum kannte.
     
    Mit dem Auto brachte man ihn in die Lindenstraße. Er mußte in einem abgeschlossenen Raum zu ebener Erde warten, in dem nur ein Tisch und ein paar Stühle standen. Während dieser Zeit war er allein, hatte Herzklopfen und Schweißausbrüche und überlegte fieberhaft, was ihm die Gestapo vorzuwerfen habe. Weder im Betrieb noch im Russenlager war in den letzten Wochen etwas Besonderes vorgefallen.
    Papa dachte nicht daran, daß nur ein winziger Tropfen, vielleicht eine Routinebeschwerde, das Maß vollgemacht und die Meldung bei der Gestapo ausgelöst haben könnte.
    Nach mehr als zwei Stunden holte man ihn endlich zum Verhör. Drei Beamte waren in dem Vernehmungszimmer anwesend, die beiden, die ihn aus Sachsenhausen hierhergebracht hatten, und ein weiterer, offenbar ein höherer Dienstgrad, der auch am Schreibtisch saß und das Verhör führte. Die beiden anderen standen im Hintergrund am Fenster oder setzten sich auf ein Sofa an der seitlichen Wand, machten sich Notizen und redeten nur selten.
    Mein Vater saß mitten im Raum auf einem Stuhl, weit vom Schreibtisch entfernt, und hatte das Licht vom Fenster voll im Gesicht, so daß er den vernehmenden

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