Kaiserhof Strasse 12
Schreibtischrand diejenigen Bücher herauszusuchen, die ihm gehörten. Papa zeigte sie ihm, es waren zwei oder drei, und in allen stand sein Name in kyrillischen Buchstaben. Er erklärte, daß es sich ausnahmslos um russische Klassiker handle. Der Gestapomann, der kein Wort Russisch verstand, blätterte die Bände durch und gab sich damit zufrieden.
Nach dem dritten Verhör wurde er wieder in den Keller gebracht. Jetzt bekam er sogar einen Teller dicke Suppe, aber er erfuhr kein Wort darüber, was mit ihm weiter geschehen solle. Er saß in der Zelle und wartete. Es ging bereits auf den Abend zu.
In der Zwischenzeit hatte sich zu Hause folgendes abgespielt: Nachdem Mama von der Verhaftung erfahren hatte, bat sie eine Nachbarin, Paula, Alex und mir telefonisch auszurichten, daß wir sofort nach Hause kommen sollten. Diese Benachrichtigung war sehr umständlich, weil es im ganzen Hinterhaus kein Telefon gab und die nächste Fernsprechzelle am Sauplätzchen auf der Freßgasse stand. Mama konnte selbst nicht gehen, denn sie mußte zu dieser Zeit schon dauernd im Bett liegen.
Bis zum Mittag waren wir alle zusammen und berieten, was jetzt zu tun sei. Was wir auch im einzelnen überlegten, verwarfen und aufs neue besprachen, wir waren äußerlich sehr ruhig, daran erinnere ich mich noch gut. Selbst die kranke Mama, deren unheilbares Leiden schon weit fortgeschritten war, reagierte nüchtern und ohne Panik.
Als erstes versuchten wir zu erfahren, ob die Angaben der unbekannten Frau stimmten und Papa tatsächlich von der Gestapo aus dem Betrieb geholt worden sei. Ich rief in der Firma an, und die Art, wie man meine Frage beantwortete, war eine Bestätigung für die Verhaftung. Wir packten ein kleines Köfferchen mit Papas Toilettensachen, etwas Wäsche und einem wollenen Pullover, und gegen zwei Uhr mittags meldete ich mich telefonisch bei der Gestapo in der Lindenstraße, um zu erfragen, wohin wir das Köfferchen bringen könnten. Papa mußte entweder noch bei der Gestapo oder bereits in einem Untersuchungsgefängnis sein. Man verweigerte mir jede Auskunft. Daraufhin nahm Paula das Köfferchen und ging damit in die Lindenstraße. Von uns waren es etwa fünfzehn Minuten Fußweg dorthin. Doch bald schon kam sie wieder zurück. Ein Gestapomann hatte ihr lediglich gesagt, wenn der Gesuchte tatsächlich bei ihnen zum Verhör oder in Untersuchungshaft sei, würden wir es schon früh genug erfahren.
Das war am späten Nachmittag. Nun gerieten wir wirklich in Panik, der eine stöhnte, der andere weinte, Mama lag im Bett mit einem gelblichbleichen Gesicht, und neben dem Bett auf einem Stuhl stand die Emailschüssel mit kaltem Wasser - aber Moissee war nicht da, der ihr sonst immer die naßkalten Tücher erneuerte -, und sie tauchte selbst von Zeit zu Zeit ein Handtuch ein, wrang es aus und legte es sich aufs Herz.
Mir gingen schreckliche Bilder durch den Kopf, man hatte mir oft genug von den sadistischen Verhörmethoden der Gestapo berichtet. Ich stellte mir vor, wie sie Papa anschnallten und schlugen, auf den Kopf, in den Magen, wie sie ihn traten, sah ihn blutend auf der Erde liegen, wimmernd und um Gnade flehend - und kein anderer Gedanke, kein anderes Bild hatte mehr in meinem Kopf Platz.
Mama schloß die Augen, und ihre blassen Lippen bewegten sich, murmelten lautlos, es schien, als unterhalte sie sich mit Papa, vielleicht nahm sie Abschied von ihm.
Es wurde dunkel, doch wir vergaßen, das Licht anzuschalten, wir warteten noch immer, saßen im Dunkeln und warteten.
Nach einer Zeit, die ihm endlos erschien, holte man Papa wieder aus dem Keller nach oben. Der Gestapobeamte, es war noch derselbe, der am Morgen mit dem Verhör begonnen hatte, sagte ihm, man wolle ihn laufen lassen und ihm auch weiter keine Bestrafung auferlegen, obwohl man sich darüber im klaren sei, daß er sich im Umgang mit den Fremdarbeiterinnen schwere Verfehlungen habe zuschulden kommen lassen. Diese Entscheidung falle nicht leicht, aber man meine, Papa sei kein Volksfeind, sondern nur zu gutmütig und habe falsches Mitleid mit den ihm anvertrauten Frauen, und daraus seien die Fehler entstanden, die er gemacht habe. Er habe nicht gelernt, daß man im Krieg andere Maßstäbe anlegen müsse als in Friedenszeiten. In seinem eigenen Interesse solle er in Zukunft vorsichtiger und mißtrauischer bei den Russinnen sein.
Am Ende mußte Papa noch ein Protokoll unterschreiben, das ihm vorgelesen worden war und in dem er versprach, niemandem etwas vom
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