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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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Gestapomann nur undeutlich sehen konnte.
    Nach der Feststellung seiner Personalien, noch bevor das eigentliche Verhör begann, erfuhr mein Vater, daß in der Zeit zwischen acht und zehn Uhr das Lager der russischen Frauen in der Uhlandstraße durchsucht worden sei. Unter anderem, so sagte der Gestapobeamte, habe man Lesestoff beschlagnahmt, der noch zu prüfen sei, und er schlug mit der flachen Hand auf einen kleinen Stoß Bücher und Hefte auf der Ecke seines Schreibtischs, alle in kyrillischer Schrift.
    Danach hielt er meinem Vater einen ganzen Katalog von Beschuldigungen vor, die fein säuberlich handgeschrieben und numeriert auf einem Blatt standen, das vor ihm lag, und die er mit der Numerierung Punkt für Punkt vorlas. Der Beamte erwähnte auch, daß die Meldung von der Geschäftsleitung der Firma gekommen sei. Das war Papa mittlerweile klar, denn niemand anders hätte so viele betriebsinterne Vorfälle als Belastungsmaterial gegen ihn zusammentragen können. Er wußte ja von der Zusammenarbeit der Gestapo mit der Personalabteilung. Die bedrohlichste Beschuldigung war die der Sabotage und Wehrkraftzersetzung. Er ermuntere fortlaufend die Fremdarbeiterinnen, sich krank zu melden oder sich über ihre angeblich schlechten Arbeitsbedingungen zu beschweren; außerdem wurde ihm vorgehalten, er decke die meisten ihrer Verfehlungen. Weiterhin beschuldigte man ihn, den Russinnen häufig Lebensmittel und abgelegte Kleidungsstücke von uns mitzubringen und sie mit Medikamenten zu versorgen, was ihm ausdrücklich untersagt worden war; auch habe er Bücher mit ins Lager genommen, die nicht vorher von der zuständigen Gestapostelle überprüft worden seien; schließlich mißbrauche er seine Sondergenehmigung und nehme stets mehr Fremdarbeiterinnen mit nach Hause als erlaubt. Papa sei sich wohl noch immer nicht darüber klargeworden, hielt der Gestapomann ihm vor, daß sich das ganze deutsche Volk in einer Schicksalsstunde befinde, überall sei Krieg, an der Front und in der Heimat. Der Feind, das seien nicht nur die russischen Soldaten, das seien alle Russen, auch die Fremdarbeiter in Deutschland. Papa hatte sich auf eine peinliche Befragung gefaßt gemacht, statt dessen hörte er einen Vortrag über die Kriegslage und das Feindbild. Wahrscheinlich glaubten die Gestapoleute, mit dieser Art der Einschüchterung einen alten, vor Angst zitternden Mann am ehesten zum Reden zu bringen. Papa überhörte aber nicht den drohenden Unterton, der in dem ganzen Vortrag lag. Danach sperrten sie ihn nicht mehr in den Raum zu ebener Erde ein, sondern brachten ihn in eine kleine Zelle im Keller. Der Gestapokeller in der Lindenstraße war berüchtigt und gefürchtet. Viele Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Hitlergegner waren in ihm gefoltert und zu Aussagen über ihre illegalen Verbindungen erpreßt worden, etliche fanden hier den Tod. Papa hatte selbst einen jungen Kommunisten gekannt, der sich aus Angst vor weiteren Quälereien in einer Zelle dieses Kellers erhängt haben soll. Nun hatte er auch Zeit, über die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nachzudenken. Am stärksten beschäftigten ihn dabei die Beschuldigungen, die mit dem Lagerleben der Russinnen zusammenhingen. Eine der Frauen mußte ihn angezeigt haben, denn daß Papa ihnen Kleider, Lebensmittel und Medikamente besorgt hatte, wußten nur sie. Für eine solche Denunziation kam nach seiner Überzeugung nur eine bestimmte Frau in Frage, die er schon länger in Verdacht hatte.
     
    Sie war Mitte Dreißig und die älteste der Frauen. Gegenüber den meist bäuerlich derben Typen der anderen Zwangsarbeiterinnen wirkte sie zierlich und schlank. Sie kam aus Sewastopol auf der Halbinsel Krim und sprach als einzige der Russinnen ein paar Worte Deutsch. Zur Erklärung dafür sagte sie meinem Vater, sie sei einige Monate in einer Offiziersunterkunft der deutschen Wehrmacht beschäftigt gewesen und habe das dort gelernt. Sie war eine der ersten Frauen, die Papa mit nach Hause brachte. Ihm imponierte ihre städtische Art, ihre Bildung und ihre Belesenheit. Auch politisch schien sie sehr interessiert.
    Es war mir schon ein paarmal aufgefallen, daß sie mir, während sie sich mit Mama auf russisch unterhielt, zulächelte und auch sonst ihre Sympathie zeigte. Eines Abends, als sie wieder einmal mit drei anderen Frauen bei uns war, erklärte sie nach dem Abendessen, es sei ihr nicht gut, sie wolle gehen. Sie fragte, ob ich sie nach Hause bringen könne. Ich beeilte mich, ja zu sagen, denn ich

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