Kaiserhof Strasse 12
brachten den Zaun in Ordnung, machten Gartenarbeiten, und immer gab es im Haus etwas zu reparieren.
Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Zwei Tage lang fluteten die geschlagenen deutschen Truppen durch das Tal und durch den Wald. Alle waren des Kämpfens müde, wußten, daß das Ende da war, und hatten keine Lust, noch in allerletzter Stunde den Heldentod zu sterben. In ihren Gesichtern stand die Hoffnungslosigkeit und die Angst, viele hinkten, andere trugen Verbände. Keiner hatte mehr eine Waffe bei sich. Unten auf der Landstraße zog sich eine nicht abreißende Kette von Fahrzeugen nach Norden, alle vollgestopft mit Uniformierten.
Als nur noch vereinzelt deutsche Soldaten vorbeikamen, drängte uns der Jagdaufseher: »Ihr müßt schnellstens eure Uniformen ausziehen, sonst nehmen euch die Amerikaner hoch.«
Das sahen wir ein. Ich fragte ihn: »Wo kriegen wir Zivilsachen her?«
»Kein Problem, ich habe schon welche beschafft. Kommt mit!«
Der Jagdaufseher ging voran auf den Flur. Dort lagen zwei alte Hosen und zwei zerschlissene Jacketts.
»Macht schnell«, drängte er, »damit niemand dazukommt, wenn ihr eure Sachen wechselt.«
Und so verwandelte ich mich wieder in einen Zivilisten, einen etwas schäbigen Zivilisten, denn die Hose war mir trotzdem noch zu lang, ich mußte sie umschlagen, das Jackett eine Nummer zu groß und das verschwitzte Ärmelfutter war zerrissen.
Am anderen Morgen, kaum daß es hell war, kam bereits Mohl, um mit uns die Wehrmachtssachen mitsamt den Papieren in einer Kiste im Wald zu vergraben. Er hatte es sehr eilig, denn er rechnete damit, daß die Amerikaner in wenigen Stunden da sein würden.
Ohne daß es die andern wußten, hatte ich meinen Fremdenpaß, den ich auch in der Kaserne und im Lazarett immer bei mir trug, auf die Seite getan und gut verwahrt. Ihn behielt ich.
Wir vergruben die Kiste an einem großen Baum, taten Laub und Äste auf die Grube und markierten im Umkreis einige Bäume. Als wir eine Stunde später zurückkamen, waren die drei Frauen eifrig dabei, ihr Geld und ihren Schmuck an vielen Stellen im Garten zwischen Zwiebeln und Karotten, Schnittlauch- und Selleriepflänzchen zu vergraben.
Ist das die Befreiung?
In höchster Anspannung starrten wir den Feldweg entlang, der zur Straße führte. Wer würde zuerst kommen, die Polen aus einem der vielen Arbeitslager rings um Kassel und Fritzlar oder die Amerikaner? Würde man das Haus stürmen, es gar beschießen, oder würde die Besetzung viel harmloser vor sich gehen?
Die drei Frauen bejammerten den Rückzug der deutschen Truppen an allen Fronten und nannten ihn ein großes Unglück. Ich dagegen freute mich, schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, über jede deutsche Niederlage und jede Rückzugsmeldung im Radio.
In einem Waldstück auf der anderen Seite der Landstraße, etwa einen Kilometer von uns entfernt, begann plötzlich eine wilde Knallerei. Panzerfahrzeuge jagten die Straße entlang und schössen in den Wald. Ich konnte deutlich die Mündungsfeuer sehen. Aus dem Wald wurde zurückgeschossen. Es hörte sich an wie Peitschenknallen. Das alles dauerte vielleicht fünfzehn, höchstens zwanzig Minuten. Dann war wieder Ruhe. Nur ab und zu fiel noch ein vereinzelter Schuß.
Und dann kamen sie! Endlich! Zwei Jeeps ratterten den Feldweg hoch, eine breite Staubfahne hinter sich herziehend.
So sehr ich vor diesem ersten Zusammentreffen mit amerikanischen Frontsoldaten zitterte, sie waren mir in dieser Stunde doch lieber als die befreiten Polen.
Wie vereinbart gingen wir alle nach draußen, die drei Frauen und wir zwei ehemaligen Soldaten, der Möbelfabrikantensohn als letzter. Justus Mohl hatte es vorgezogen, die Besetzung durch die Amerikaner bei seiner Frau in Heimarshausen abzuwarten.
Das Gattertor stand weit auf, doch die beiden Jeeps fuhren nicht auf das eingezäunte Gelände. In einem größeren Abstand vor dem Tor hielten sie. Sechs Soldaten in voller Kriegsmontur, mit Maschinenpistolen im Anschlag, sprangen von den Fahrzeugen. Nur die beiden Fahrer, zwei Schwarze, blieben bei laufendem Motor in den Jeeps sitzen. Langsam und nach allen Seiten spähend, als erwarteten sie jeden Augenblick einen Angriff, näherten sich die Amerikaner der Einfahrt. Dann blieben sie in einer Reihe stehen, die Waffen auf uns fünf Deutsche gerichtet, die wir etwa dreißig Meter entfernt am Haus standen.
»Hands up!« schrie ein Amerikaner. Wir hoben unsere Arme.
»Come on!« schrie ein anderer und deutete mit
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