Kaiserhof Strasse 12
noch nicht von den Amerikanern besetzt und lag in Richtung Frankfurt.
»Ich habe bereits Ihre Krankenpapiere fertiggemacht. Und hier ist der Marschbefehl, damit Sie keine Schwierigkeiten bekommen.« Überrascht und ungläubig schaute ich ihn an.
»Ja, ja, das geht schon in Ordnung«, sagte er. »Lassen Sie sich in Bad Nauheim behandeln. Nehmen Sie sich Zeit.« Er steckte alles zusammen in einen Umschlag, den er mir in die Hand drückte. Dann sagte er: »Alles Gute. Ich hoffe, Sie kommen durch. Gehn Sie mit Gott.«
Das bedeutete, daß ich nicht in die Kaserne mußte und damit vorläufig auch nicht an die Front. Viel später erst machte ich mir klar, welches Risiko der Arzt mit der Ausstellung dieser Papiere auf sich genommen hatte. Nie zuvor war bei mir ein Herzfehler diagnostiziert worden, den hatte er nur für den Eintrag in die Krankenpapiere erfunden, um mich auf den Weg nach Bad Nauheim schicken zu können. Eine vernünftige Erklärung für dieses Verhalten habe ich bis heute nicht, denn das gleiche hätte er auch bei den andern machen können oder doch wenigstens bei mehreren. Er tat es nicht, alle anderen Stubengenossen, die mit mir in Quarantäne waren, wurden in die Kaserne geschickt zum Abtransport an die Front.
Die Jagdhausgesellschaft
Während die nicht bettlägerigen Soldaten in kleinen Gruppen aus dem Lazarett in die Artilleriekaserne gelotst wurden, tauchte um die Mittagszeit im Ursulinenkloster ein Mann in einem grünen Jägerrock auf. Ich hatte ihn schon ein paarmal gesehen, auch am Tag zuvor. Er mußte sich im Kloster gut auskennen und begrüßte viele Nonnen mit Handschlag. Er war Mitte vierzig, klein, hager und hatte ein Gesicht, das man sich nur schwer merken konnte.
Als ich die Krankenstube mit meinem verschnürten Paket verließ, um mich auf den Marsch zu machen - der Bahnverkehr in Richtung Bad Nauheim-Frankfurt war schon seit Tagen unterbrochen -, stand er auf dem Flur und sprach mich an. Wohin ich wolle, ob es schlimm sei mit meiner Krankheit, und ob ich denn glaube, unbehelligt nach Bad Nauheim zu kommen.
Ich war ungeduldig, denn ich wollte mich auf alle Fälle bis zum Dunkelwerden noch einige Kilometer von Fritzlar absetzen. Die Kaserne und der Bahnhof, von dem immer noch Transporte an die Front abgingen, waren mir zu nahe, um mich hier sicher zu fühlen. Ich wollte die Gelegenheit, im Hinterland unterzutauchen, schnell nützen. Während er noch sprach, wollte ich schon weitergehen.
»Wenn du einen Rat von mir haben willst«, meinte der Jäger und legte mir vertraulich die Hand auf die Schulter, »nimm keinesfalls den direkten Weg über Alsfeld. Auf dieser Straße fällst du bestimmt den Heldenklaus in die Finger. Die schaffen alles an die Front.«
Jetzt wurde ich hellhörig, und drehte mich wieder zu ihm um. Er mußte aus der Gegend sein. Seine Ratschläge könnten mir mehr helfen, überlegte ich, als ein eiliger Aufbruch, denn ich hatte weder Ortskenntnisse noch eine Landkarte bei mir. »Können Sie mir sagen, welchen Weg ich nehmen muß, um an den Kontrollen vorbeizukommen?«
»Du kannst du zu mir sagen, Kamerad. In dieser Zeit sind wir doch alle Kameraden.«
Das war eine merkwürdige Anbiederung. Ich empfand sie in dem Augenblick als unangebracht. Der Jäger legte die Hand an die Stirn, schien zu überlegen, und dann empfahl er mir, den Umweg über Bad Wildungen und ein paar Nebenstraßen zu machen, die er mir genau benannte. »So kommst du am besten durch.«
Ich war überrascht über so viel Hilfsbereitschaft in der Aufregung der Lazarettauflösung und bedankte mich für die Ratschläge. Doch er winkte ab: »Ist doch selbstverständlich, Kamerad.« Dann sagte er noch: »Ich habe zufällig den gleichen Weg. Wenn du willst, nehme ich dich ein Stück mit.«
»Gern«, gab ich zur Antwort, »aber wie wollen Sie mich mitnehmen?«
»Mit dem Pferdewagen. Ich habe draußen einen Pferdewagen stehn.« Und schon griff er nach meinem Pappkarton und lief dem Ausgang zu. Dort stand noch ein anderer Soldat, der offensichtlich auf uns gewartet hatte. »Der kommt auch mit«, sagte der Jäger.
Vor der Tür stand der kleine Wagen. Wir hatten alle drei bequem auf dem Kutschbock Platz. Der Jäger nahm die Zügel in die Hände, und das Pferd zog an.
Bereits auf dem Fritzlarer Marktplatz gerieten wir in die erste Kontrolle. Mißtrauisch schaute der Streifenführer die Papiere von vorn und hinten an, musterte uns beide mit zusammengekniffenen Augen und fragte: »Wie krank seid ihr
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