Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
gänzlich Herr seiner Sinne.
Clodius hatte ihn am Straßenrand gefunden, ausgeraubt und im Fieberwahn. Er hatte nicht mehr getragen als die Kleidung am Leib. Offenbar hatten Straßenräuber die Chance genutzt, einen Schwerkranken um alles zu erleichtern, was er bald ohnehin nicht mehr benötigen würde, denn die Pest überlebte man eigentlich nicht.
Clodius lächelte freudlos, als er sich neben den Mann hockte. Er tupfte ein Leinentuch in kaltes Wasser und benetzte Stirn und Hals des Leidenden. Ja, eigentlich überlebte man die Pest nicht. Clodius war eine der Ausnahmen. Er hatte sie mit zwölf Jahren bekommen, bei der letzten großen Welle in dieser Gegend, und er hatte sie überlebt. Gottes Segen? Ja, sicher. Und so hatte er den Mann mühsam in seine Kate geschleppt, ihn gesäubert und gekleidet, ihn niedergelegt und seit drei Tagen unablässig gepflegt, wie Jesus es dem Christenmenschen aufgetragen hatte. Es war Clodius nicht zu mühsam und er kannte keine Angst. Er zahlte zurück, was der Herr ihm einst geschenkt hatte. Es half, dass der junge Unbekannte so alt war, wie sein Sohn jetzt sein würde, und all die Fürsorge, die er niemals seinen Kindern hatte angedeihen lassen können, floss nun auf diesen Kranken hinüber, als wäre er sein eigen Fleisch und Blut.
Er tupfte die fiebernasse Stirn ab. Der Kranke rollte mit den Augen und stöhnte. Er war wach, aber erkannte seine Umgebung immer nur für kurze Augenblicke. Clodius hoffte, dass er verstand, dass er hier versorgt wurde. Angst, so wusste er gut, half bei der Heilung von Krankheiten nicht, sie machte es meist nur noch schlimmer. Clodius war kein Arzt und war darüber hinaus überzeugt, dass auch ein Medicus nicht mehr würde ausrichten können als er. Aber wenn es ihm gelang, die Schwellungen und Wunden zu versorgen und gleichzeitig dem Mann das Gefühl einer gewissen Sicherheit zu geben, sodass er sich ganz auf seine Wiederherstellung konzentrieren konnte, war dies mehr, als viele Pestkranke an Fürsorge bekamen.
Clodius hatte keine Angst, erneut angesteckt zu werden. Er hatte die Krankheit einmal überlebt und er vertraute in Gott, dass all dies kein Zufall, sondern zuverlässige Fügung war. Und selbst wenn es ihn erwischen sollte, war das kein Problem. Er war alt und schon lange bereit, vor den Herrn zu treten. Wenn er dies im Dienste an einem Nächsten tat, so war es ein guter Tod, ehrenvoll wie segensreich zugleich. Der alte Mann war mit sich im Reinen.
Der Kranke bäumte sich auf, starrte Clodius für einen Moment direkt ins Gesicht. Seine Lippen formten stumme Worte, deren Bedeutung der alte Mann nicht zu ergründen vermochte.
»Ruhig, mein Freund«, sagte er mit sanfter Stimme und benetzte das Gesicht mit kühlem Wasser. »Du bist hier in Sicherheit. Dir geschieht nichts. Ich kümmere mich um dich. Werde wieder gesund, und wir teilen Wein und Brot und loben den Herrn. Aber hab keine Angst. Hier ist es friedlich.«
Clodius wusste auch diesmal nicht, wie die vielen Male zuvor, ob er gehört worden war oder nicht. Aber es kam ihm durchaus so vor, als würde sich der Leib des Mannes für einen Moment entspannen, der innere Kampf nachlassen. Clodius schaute auf den Krug mit dem Wasser und beschloss, frisches aus der Regentonne zu schöpfen, die im Schatten hinter dem Haus stand.
Als er Wasser geholt hatte, nahm er einen Teller und einen Holzlöffel zur Hand und versuchte, dem Kranken etwas von der dünnen Hühnersuppe einzuflößen, die er auf der Feuerstelle warm gehalten hatte. In den vergangenen drei Tagen hatte er dem Mann vor allem Wasser gegeben, doch er musste essen, damit sein Körper Kraft für den Kampf gegen die Pest fand. Mit engelsgleicher Geduld führte er den Löffel immer wieder an die zitternden Lippen seines Patienten, oft genug wurde sein Inhalt verschüttet und er musste den Mann reinigen. Doch dann, das eine wie das andere Mal, schluckte er fast schon gierig die warme Flüssigkeit und schien nach mehr zu verlangen. Es dauerte eine Weile, aber zum Schluss hatte er einen Teller Suppe verschüttet, einen weiteren jedoch zu sich genommen. Als ob die Brühe seine Lebensgeister wecken würde, blickte der Mann Clodius mit klarem Blick an, und da, ein feines, schwaches Lächeln stand auf seinem Gesicht. Clodius beugte sich nach vorne, strich seinem Patienten mit der Hand das schweißnasse Haar aus der Stirn und nickte ihm zu, bemüht, das Lächeln mit größter Wärme und Freundschaft zu erwidern.
Wieder formte der junge Mann
Weitere Kostenlose Bücher