Kaisertag (German Edition)
vor dem eine anstrengende Aufgabe liegt, und faltete die fleckigen Hände vor sich auf dem Tisch.
»Dann darf ich Sie bitten, nun doch Platz zu nehmen. Was ich Ihnen zu sagen habe, wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen …«
* * *
Südlich von Kai-Feng, China
19. Juli 1944
Erschöpft ließ General Rommel sich in den Klappstuhl fallen und öffnete den engen Kragen seiner staubbedeckten Uniform. Die vergangenen Tage hatten ihm viel abverlangt. Er hatte nicht geschlafen und kaum etwas gegessen, er war im offenen Auto über zerfurchte Wege von einem Schlachtfeld zum nächsten gehetzt, um an Ort und Stelle die Situation mit eigenen Augen sehen, den Befehlshabern Anweisungen geben und die Bewegungen des Feindes aus vorderster Linie verfolgen zu können. Beinahe eine Woche lang hatte er sich keine Ruhe gegönnt, hatte sich selbst den Zwang auferlegt, die Schlacht persönlich zu leiten statt über Funk und Kradmelder, ungeachtet der damit verbundenen Gefahren. So hatte er es in den fast drei Jahren, die dieser Krieg nun schon andauerte, immer gehalten und war dadurch zu einer lebenden Legende bei seinen Soldaten geworden – und zu einem Angst einflößenden Dämon für seine Gegner. Die chinesischen Kommandeure fürchteten den deutschen General, der jeden ihrer Schritte vorauszusehen schien, seine Truppen mit der Eleganz und Schnelligkeit eines Florettfechters führte und keine einzige echte Niederlage erlitten hatte. Und unter den chinesischen Soldaten, meist einfache Bauern, tief verwurzelt in uraltem Aberglauben, waren nicht wenige überzeugt davon, dass Erwin Rommel ein böser Geist aus der Unterwelt sein müsse, ein Zauberer, der die Macht besaß, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein.
Rommel lächelte schwach bei dem Gedanken, dass manche ihm magische Kräfte nachsagten. Aber es war ihm recht, denn solche Gerüchte untergruben die Moral seiner Gegner und machten deren beunruhigende zahlenmäßige Überlegenheit wenigstens teilweise wett. Denn wenn es in diesem Krieg überhaupt etwas gab, das ihm wirklich Angst machte, dann die Vorstellung, mit einem vergleichsweise winzigen Häuflein europäischer und japanischer Soldaten über siebenhundert Millionen Chinesen gegenüberzustehen. Die bloße Zahl hatte ihm manches Mal den Hals zugeschnürt. Siebenhundert Millionen, die sich gegen die massive Bevormundung durch fremde Nationen erhoben hatten. Ein Flächenbrand, gegen den der Boxeraufstand mehr als vierzig Jahre zuvor sich wie eine harmlose Balgerei von Schuljungen ausnahm. China hatte nicht mehr ertragen können, dass seine Häfen Großbritannien gehörten, seine Eisenbahnen Deutschland, seine Banken Frankreich, seine Felder Russland und seine Bergwerke Japan. Die Großmächte hatten den Bogen überspannt. Aufmerksame Beobachter hatten schon lange gewarnt, dass China einem Pulverfass glich, doch ohne Gehör zu finden. Bis in den letzten Tagen des Jahres 1941 der Sturm im Fernen Osten losbrach. Hongkong wurde von Hunderttausenden chinesischer Aufständischer überrannt, Tsingtau konnte nur mit Mühe gehalten werden, die Japaner wurden in der Mandschurei bis in die Küstenstädte zurückgedrängt. Bankhäuser, Konsulate, Fabriken und Kirchen der verhassten fremden Teufel gingen in Flammen auf. China war erwacht.
Es sollte ein böses Erwachen werden. Die Großmächte konnten weder diese Demütigung noch den Verlust ihres Einflusses in China hinnehmen. In seltener Einmütigkeit beschlossen sie, ein Expeditionskorps unter einem gemeinsamen Oberbefehlshaber zu entsenden. Und so war Erwin Rommel, der jüngste General des Reichsheeres, im Frühjahr 1942 mit dem 6. Württembergischen Infanterie-Regiment in dem noch immer belagerten Pachtgebiet Tsingtau gelandet.
Damals hatte er nicht einmal geahnt, dass vor ihm zweieinhalb Jahre lagen, in denen er von einem untergeordneten General zum Oberkommandierenden der Expeditionsstreitmacht aufsteigen würde, ausgezeichnet mit Orden aus sieben Staaten. Und er hatte nicht gewusst, dass es die aufreibendsten, schrecklichsten Jahre seines bisherigen Lebens sein würden.
Nun würde das alles bald hinter ihm liegen. Die Schlacht von Kai-Feng, in der die Chinesen mit einem gigantischen Massenaufgebot und dem Mut der Verzweiflung das Ruder doch noch einmal zu ihren Gunsten herumreißen wollten, war praktisch beendet. Es gab keine chinesische Armee mehr; es gab auch kein China mehr. Rommel hatte die Siegesmeldung bereits am frühen Morgen per Funk nach Berlin durchgegeben,
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