Kaisertag (German Edition)
als am Ausgang des Kampfes schon kein Zweifel mehr bestand. Nach sechs Tagen ununterbrochenen Gefechtslärms kehrte nun mit der Abenddämmerung langsam Ruhe über der Ebene von Kai-Feng ein; nur noch vereinzelt drang das ferne Knattern von Maschinengewehren oder das dumpfe Rumpeln der Feldartillerie durch die dicken Zeltwände aus steifem Segeltuch. Es war vorbei.
Der General lehnte sich zurück und schloss die vom Staub brennenden Augen. Er würde sich eine Weile ausruhen und dann einen Brief an seine Frau Lucie und an Friederike, seine Tochter, schreiben. Seit seinem letzten Heimaturlaub vor acht Monaten hatte er beide nicht mehr gesehen; nun wollte er sie wissen lassen, dass es ihm gut ging und dass er bald wieder zu Hause sein würde. Er wollte endlich zurück zu seiner Familie. Und er wollte jetzt so schnell wie nur möglich dieses Land verlassen, in dem es buchstäblich nach Tod roch.
In den Jahren, die er in China verbracht hatte, war in Rommel eine Erkenntnis gereift, die ihn selber erstaunte: Er hatte herausgefunden, dass er den Krieg nicht mochte. Ein Feldherr durfte so nicht denken, dessen war er sich bewusst. Aber er konnte es nicht ändern.
Er hatte auch schon vorher Soldaten kämpfen und sterben sehen. Als junger Oberleutnant war er als Ausbilder zur bulgarischen Feldartillerie abkommandiert gewesen und hatte den grausamen Dritten Balkankrieg miterlebt. Er war als Offizier zweimal gegen fanatische Negerstämme, die sich wider die deutsche Herrschaft in den afrikanischen Kolonien erhoben hatten, ins Feld gezogen. 1935 war er vom Generalstab nach Abessinien geschickt worden, um Kaiser Haile Selassies Heer zu modernisieren. In Berlin hatte man damals gehofft, den Herrscher, der sein Reich in der Zange der Kolonialmächte England und Italien sah, durch großzügige Hilfen auf Deutschlands Seite ziehen zu können. Erwin Rommel war damals gerade noch rechtzeitig in Addis Abeba eingetroffen, um mitzuerleben, wie die Italiener von Somaliland aus Abessinien überrollten und das älteste christliche Reich der Welt nach über 1600 Jahren in wenigen Wochen auslöschten.
Das alles waren Kriege gewesen, in denen er mit eigenen Augen Menschen hatte sterben sehen, getroffen von Kugeln, zerfetzt von Granaten und zuletzt sogar zerfressen vom Chlorgas, das die Italiener einsetzten, als ihr Vormarsch ins Stocken zu geraten drohte. Aber erst hier in China hatte er gemerkt, dass Krieg ihn anekelte. Hier hatte er mehr Leid und Zerstörung gesehen, als er sich je hätte vorstellen können. Und dass er für eine gerechte Sache kämpfte, gegen Feinde der Zivilisation, die auf barbarische Weise europäische Frauen, Kinder und Männer ermordeten, vermochte daran auch nichts mehr zu ändern. Es beruhigte nur sein Gewissen, doch der Ekel blieb. Und er war sich nicht einmal mehr sicher, ob Zivilisation in diesem Krieg überhaupt noch eine Rolle spielte; nicht, nachdem ohne seine Einwilligung die Luftflotte auf Befehl aus Berlin mit ihren riesigen Zeppelinen am Himmel erschienen war und über achtzehn Städten, die als Hochburgen der Rebellion galten, ihre Bomben abgeworfen hatte. Keine gewöhnlichen Bomben – Senfgasbomben, die durch einen Fallzünder hundert Meter über dem Erdboden explodierten, sodass sich das Gas ausbreiten konnte und sich als ätzende gelbliche Wolke langsam als gewaltiges Leichentuch, dem niemand entrinnen konnte, über die Menschen senkte. Erblindet, mit sich langsam auflösenden Organen waren sie unter Krämpfen gestorben, während sie Blut erbrachen und sich ihre Haut vom Fleisch löste.
Niemand sollte in Rommels Gegenwart je wieder Krieg und Zivilisation im selben Atemzug nennen.
»Ich bitte Herrn General um Vergebung.«
Rommel schlug die Augen auf. Einer seiner Adjutanten, dem es sichtlich unangenehm war, seinen Oberbefehlshaber zu stören, stand im Eingang des Zeltes.
»Schon gut«, erwiderte Rommel müde. »Was gibt es denn, Leutnant?«
»Oberst Bartz ist soeben eingetroffen und wünscht, den Herrn General sprechen zu dürfen. Soll ich ihm ausrichten, dass Herr General momentan zu sehr in Anspruch genommen sind?«
Im ersten Augenblick war Erwin Rommel versucht, diesem Vorschlag zu folgen. Erich Bartz war so ziemlich der letzte Mensch, den er jetzt sehen wollte. Der Oberst und sein Stab waren im Auftrag des Kriegsministeriums in China und bildeten das Bindeglied zwischen der Wilhelmstraße in Berlin und dem deutschen Kontingent des Expeditionsheeres. Der Mann war durchdrungen von seiner eigenen
Weitere Kostenlose Bücher