Kaisertag (German Edition)
Ihnen, dürfen Sie und Ihr Freund unbeschadet heimkehren.«
Sie wusste nicht, ob sie diese offensichtliche Lüge mit Hohn oder Verachtung quittieren sollte. Aber das war nicht wirklich wichtig, denn es änderte nichts an ihrer Situation. »Ich komme mit«, sagte sie kalt, »aber ich warne Sie. Es wird auffallen, wenn ich nicht bald wieder in mein Büro komme.«
»Oh, da kann ich Sie beruhigen«, erwiderte der Unbekannte mit undurchsichtigem Lächeln. »Man wird Sie so bald nicht vermissen, wir haben Vorsorge getroffen. Mein Automobil steht in der Hüxstraße. Wenn Sie bitte vorangehen würden?«
In einem kleinen grauen Skoda Budweis fuhren sie aus der Stadt hinaus. Der Mann mit dem Panamahut lenkte den Wagen wortlos durch das Burgtor am Nordrand der Altstadt, durch die Vorstadt St. Gertrud und dann über die Chaussee, die Lübeck mit seinem Ostseebad Travemünde verband. Die Schweigsamkeit des Fahrers war bedrückend. Hätten diese Leute vorgehabt, sie und Prieß tatsächlich wieder gehen zu lassen, dann wäre es nur logisch gewesen, ihr gleich außerhalb der Stadt die Augen zu verbinden, damit sie das Ziel der Fahrt später nicht wiederfinden konnte. Wenn der Unbekannte ihr jedoch gestattete, sich jedes Detail der Strecke einzuprägen, dann konnte es bloß bedeuten, dass sie nie zurückkehren würde.
Nach etwas weniger als einer Stunde Fahrt, von der die letzten zwanzig Minuten über holperige, roh gepflasterte Nebenstraßen geführt hatten, steuerte der wortkarge Fremde den Skoda auf die von Unkraut bedeckte Kiesauffahrt eines einstmals wohl schönen, nun aber vernachlässigten Landhauses.
»Wir sind da, Frau Dühring«, brach er sein langes Schweigen.
Er stieg aus und öffnete ihr die Wagentür. Alexandra verließ das Auto, und obwohl sie es nicht zeigte, quälten sie Angst und Ungewissheit.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«, sagte er. Sie gingen die rissige Sandsteintreppe hinauf und durch die knarrende große Eingangstür.
Das Innere des Hauses roch nach Feuchtigkeit und altem Staub, ausgeblichene Tapeten mit altmodischen Blumenranken lösten sich von den Wänden. Die Fußbodendielen unter dem abgetretenen Teppich ächzten und stöhnten bei jedem Schritt. Der Mann führte Alexandra eine breite Treppe hinauf, deren filigran geschnitzte und längst von vielen dicken Farbschichten überzogenen Geländer wie ein schwacher Nachhall früherer Eleganz wirkten.
Im oberen Stockwerk blieb er dann vor einer Tür stehen. »In diesem Zimmer befindet sich Herr Prieß. Sie können sich davon überzeugen, dass wir ihm in keiner Weise Schaden zugefügt haben. Wir werden Sie beide in Kürze zu einer Unterredung bitten. Verzeihen Sie, wenn Sie bis dahin einige Minuten warten müssen.«
Die scheinbare Höflichkeit beeindruckte Alexandra nicht. Sie nickte kommentarlos, während der Fremde einen Schlüssel aus der Innentasche seines Jacketts holte und aufschloss.
Er öffnete die Tür und vollführte eine einladende Geste. »Bitte treten Sie ein. Wir werden uns bemühen, Sie nicht lange warten zu lassen.«
Das kann ich mir vorstellen , dachte sie und ging in das Zimmer.
Friedrich Prieß saß in eine viel zu große graue Uniform gekleidet auf einem schäbigen Sofa und sah erstaunt auf, als Alexandra den Raum betrat. Die Überraschung lähmte ihn nicht einmal eine Sekunde, dann sprang er auf und ergriff ihre Hände, als wollte er sichergehen, dass sie nicht wieder verschwand. Er versuchte, etwas zu sagen, doch noch ehe er ein einziges Wort herausbringen konnte, kam sie ihm zuvor. »Fritz! Gott sei Dank, du lebst. Bist du in Ordnung? Haben die dir was angetan?«
»Nein, nein«, versuchte er sie zu beruhigen, »mir ist nichts zugestoßen. Aber … wie kommst du hierher? Haben sie dich gezwungen …?«
»Sie mussten mich nicht zwingen. Ich habe mich herbringen lassen, weil ich erfahren habe, dass du in ihrer Gewalt bist.«
»Verdammt, Alexa, das hättest du nicht tun dürfen! Wer weiß, was die mit uns machen wollen?«
»Und wer weiß, was geschehen wäre, wenn ich mich geweigert hätte, mitzukommen?«, hielt sie entgegen. »Aber was ist denn überhaupt passiert, Fritz? Wieso bist du hier?«
»Zwei falsche Polizisten haben mich aus deinem Haus geholt, als ich dich gerade anrufen wollte. Sie haben mich hergebracht, und seitdem warte ich … worauf genau, weiß ich nicht. Aber ich ahne das Schlimmste. Dabei hatte ich wirklich schon geglaubt, ich hätt’s überstanden …«
»Du warst im
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