Kaisertag (German Edition)
Uniform für die Lübecker Schutzmänner entworfen und – freilich gegen allerlei Hemmnisse – auch eingeführt. Ich denke, der Erfolg gibt mir recht. Es wird dringend Zeit, mehr Zivilität zu wagen … und das nicht nur in Lübeck.«
Diesem letzten Satz des Senators hätte Prieß am liebsten lauthals beigepflichtet. Der alte Herr beeindruckte ihn, und er hätte das Gespräch gerne noch fortgesetzt; doch just in diesem Moment kam Yvonne Conway aus dem Nichts herbeigewirbelt und ergriff seine Hand.
»Mr. Prieß, Sie müssen unbedingt mit mir tanzen! Come on, you must be a great dancer, ich habe ein Gespür dafür.«
Sie zog ihn in die Mitte des Saals, und Prieß sah keine Fluchtmöglichkeit. Daher fügte er sich in das Unvermeidliche und tröstete sich mit dem Gedanken, dass Miss Conway an seinen Tanzkünsten nicht viel Freude haben würde; er hatte seit einer Ewigkeit keinen Fuß mehr auf das Parkett gesetzt, und von den gerade modernen Tänzen hatte er ohnehin keinen blassen Schimmer.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren, Stefan Remmler und sein Jive-Terzett haben nun die Ehre, für Sie den Foxtrott The Quick Brown Fox zu spielen«, verkündete der Bandleader, setzte das Saxophon an die Lippen und blies die ersten Takte. Dann setzten die übrigen Instrumente ein. Es gab kein Entkommen mehr für Friedrich Prieß.
Nach einem Foxtrott und zwei Quicksteps, bei denen sich Prieß fast ausschließlich von Miss Conway schwungvoll durch den Raum hatte schieben lassen, konnte er sich endlich befreien. Er deutete seiner Gastgeberin dezent an, dass ihn ein menschliches Bedürfnis plage – was nicht einmal gelogen war –, und daraufhin ließ sie ihn ziehen. Vorher jedoch hatte er ihr versprechen müssen, später wieder mit ihr zu tanzen. Diese Begeisterung erstaunte Prieß, denn früher war er nur dafür berüchtigt gewesen, seinen Partnerinnen auf die Zehen zu treten. Aber bei Yvonne Conways lebhaftem Tanzstil hatte er gar keine Gelegenheit, ihre Füße zu treffen.
Er fragte einen der Bediensteten nach dem Weg zur Toilette und erhielt die diskret geflüsterte Antwort, dass die Bequemlichkeit im oberen Stockwerk hinter der zweiten Tür zu finden sei. Prieß stieg die Rokokotreppe hinauf und fand auf dem oberen Flur sofort, wonach er suchte.
Einige Minuten später, als er sich gerade die Hände wusch, erinnerte er sich daran, dass er unbedingt am nächsten Tag zur Bank musste. Die Miete für sein Büro wurde fällig, und er konnte den Zahlungstermin unmöglich noch einmal so sehr überschreiten wie in den Monaten zuvor. Er wollte sichergehen, die Überweisung nicht zu vergessen, daher griff er in die Innentasche und tastete nach dem Notizbuch, das er immer bei sich hatte. Dann aber fiel ihm ein, dass er an diesem Abend schon zum zweiten Mal während seines Aufenthalts in Lübeck einen Leihsmoking trug. Sein Notizheft schlummerte in seinem Anzug, und der lag im Hotel auf dem Bett.
»Wirklich genial«, grummelte er halblaut. »Bei all dem Zeug, das in meinem Kopf umherschwirrt, habe ich die Sache mit der Bank in zehn Minuten vergessen … ich muss sehen, dass ich mir schnell was zum Schreiben besorge.«
Er verließ die Toilette und ging den Flur hinunter. Dabei kam er an einer offen stehenden Tür vorbei. In dem halbdunklen Raum dahinter konnte Prieß die Umrisse eines Schreibtisches erkennen.
Yvonne Conways Arbeitszimmer , vermutete der Detektiv, dort liegt sicher Schreibzeug.
Ganz kurz, nur den Bruchteil eines Pulsschlags lang, war er sich nicht sicher, ob er wirklich hineingehen sollte. Doch dann entschied er sich, dass ein winziger Missbrauch der Gastfreundschaft allemal dem möglichen Ärger mit der Vermietungsgesellschaft vorzuziehen war. Außerdem, so beruhigte er sich, wollte er ja nicht in Miss Conways privaten Dokumenten herumstöbern, sondern nur ein Blatt Papier und einen Stift benutzen. Also betrat Prieß den Raum, schloss die Tür hinter sich, ging vorsichtig durch das Dunkel, bis er den Tisch erreichte, ertastete die Lampe und knipste sie an.
Das Licht offenbarte eine heillos chaotische Anhäufung von Tuben mit Ölfarben, Skizzenkartons, Malkreiden und Pinseln, die den ganzen Schreibtisch überflutete; nur sein professionelles Gespür ließ Prieß inmitten dieses Durcheinanders gleich finden, wonach er Ausschau hielt: einen Notizblock und einen Bleistift. Er ergriff den Stift und wollte gerade zu schreiben beginnen, als er überrascht innehielt. Das schräg von der Seite auf das Papier
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