Kaisertag (German Edition)
Befürchtungen rasch in nichts auf. Niemand sah ihm an, dass er einen wenig respektablen Beruf ausübte, und bei den zwanglosen Plaudereien, die sich fast von selber ergaben, konnte er das Thema problemlos umgehen. Er unterhielt sich gut, beobachtete aber aus Gewohnheit seine Umgebung sehr genau; dabei stellte er fest, dass sich Miss Conway offenbar gerne mit Künstlern und weltoffenen Charakteren aller Art umgab, die auf steife Förmlichkeit keinen großen Wert legten. Die Gespräche waren ungezwungen, es wurde gelacht und getanzt, alles in einer lockeren, aber kultivierten Atmosphäre. Das kalte Buffet war ausgezeichnet, die Gastgeberin schien überall gleichzeitig aufzutauchen und steckte sämtliche Anwesenden mit ihrer guten Stimmung an. Alexandra kannte die meisten Gäste und machte Friedrich Prieß mit einigen interessanten Frauen und Männern bekannt, die er sonst nie kennengelernt hätte; und wenn doch, dann nur unter erheblich unerfreulicheren Umständen.
Plötzlich stieß Alexandra Dühring ihn unauffällig an. »Der Mann, der da gerade hereingekommen ist, siehst du den?«, flüsterte sie. »Das ist Senator Frahm, mein großer Förderer.«
Prieß blickte hinüber zur Tür. Yvonne Conway begrüßte gerade einen älteren Herrn im Smoking. Sein graues, gewelltes Haar, das an den Seiten noch einen Rest der ursprünglichen dunklen Farbe aufwies, lichtete sich bereits merklich und war besonders an den Schläfen und der hohen Stirn schon stark zurückgewichen. Er lächelte unaufdringlich, aber auf sehr einnehmende Weise und deutete einen Handkuss an, was die Engländerin zu einem entzückten Kichern veranlasste.
»Komm mit«, forderte Alexandra Friedrich auf, »ich stelle dich ihm vor.« Ohne auf Prieß’ Reaktion zu warten, nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn mit sich.
Der Senator bemerkte sie schnell. »Ah! Frau Dühring, wie schön, Sie auch hier zu sehen«, sagte er mit einer auffällig kratzigen Stimme, wobei er ein wenig schleppend sprach, als würde er jedes einzelne Wort sorgfältig abwägen. Er begrüßte sie auf die gleiche Weise wie Miss Conway.
»Ich freue mich ebenfalls, Sie zu treffen, Herr Senator«, entgegnete Alexandra, »und hoffe, Sie haben Ihren Urlaub genossen. Sie hatten sich diese Erholung wirklich verdient. Darf ich Ihnen Friedrich Prieß vorstellen, einen guten Freund aus Hamburg, der zu Besuch in unserer Stadt ist?«
Senator Frahm reichte dem Detektiv die Hand. »Es ist mir ein besonderes Vergnügen, Freunde unserer vortrefflichen Polizeipräsidentin kennenzulernen. Herr Prieß, ich hoffe, Ihr Aufenthalt in der Freien und Hansestadt Lübeck wird unvergesslich.«
Prieß fühlte sich geschmeichelt. Ein Lübecker Senator entsprach einem Minister, und wann hätte ihm je ein preußischer oder auch nur Schaumburg-Lippescher Minister die Hand geschüttelt?
»Ich danke Ihnen sehr, Herr Senator. Ihr Name ist mir nicht fremd, Alexandra hat mir schon einiges über Sie erzählt.«
»Oh, vermutlich hat sie meine wenigen guten Eigenschaften stark übertrieben und die schlechten gänzlich verschwiegen«, meinte der Senator lächelnd. »Oder sollte ich mich da irren, Frau Dühring?«
Alexandra wies diese Vermutung mit einer charmanten abwehrenden Handbewegung zurück. »Herr Senator, ich habe nur die Wahrheit gesagt, wie sie sich aus meiner Sicht darstellt. Sie haben mich gegen alle Widerstände als Ihre Kandidatin für das Amt des Polizeipräsidenten durchgesetzt und dafür Ihr gesamtes Ansehen in die Waagschale geworfen. Da ist es selbstverständlich, dass ich meinen Mitmenschen nur das beste Bild von Ihnen vermitteln möchte.«
»Ja, es war in der Tat nicht leicht, meine Amtskollegen und die Bürgerschaft davon zu überzeugen, diese Aufgabe einer Frau zu übertragen … sie haben sich noch mehr gesträubt als bei der Einführung der neuen Polizeiuniformen, und das will etwas heißen«, meinte Senator Frahm und nahm sich einen Cognac von dem Tablett, das einer der Bediensteten vorübertrug.
»Diese Uniformen stammen von Ihnen?«, fragte Prieß erstaunt.
»Sagen wir, sie sind das Kind meiner Überlegungen. Ich war zu der Überzeugung gelangt, dass unsere Polizisten die preußische Sergeantenkluft ablegen sollten. Die Menschen sollen Vertrauen zu ihrer Polizei fassen, aber wer kann jemandem vertrauen, der den gleichen Waffenrock trägt wie der Unteroffizier, der einen als Rekrut zusammengestaucht hat? Deshalb hatte ich gemeinsam mit Freunden, die meine Ideen teilten, eine neue, zivilere
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