Kaisertag (German Edition)
versucht, eine Spur von Karl Lämmle zu finden. Nichts! Und das, obwohl ich alle meine Verbindungen habe spielen lassen und einen Berg Gefallen aufgebraucht habe, die mir alle möglichen Leute noch schuldeten. Der Kerl ist wie vom Erdboden verschwunden. Aber wir müssen ihn irgendwie finden! Ich hab’s im Gefühl, er weiß etwas. Ach, es ist einfach zum Kotzen.«
»Hast du dir inzwischen Gedanken über die Personen gemacht, mit denen du gesprochen hast? Eine von denen ist ein schwarzes Schaf … das uns vielleicht zum Rest der Herde führt.«
Prieß stieß mit der Schuhspitze eine leere Zigarettenschachtel vom Bürgersteig auf das Kopfsteinpflaster der Straße. »Habe ich, Alexa. Von allen Leuten, denen ich erzählt habe, dass ich den Grund für Diebnitz’ Selbstmord herausfinden will, hat dieser von Rabenacker sich am verdächtigsten verhalten. Um den werde ich mich noch mal genauer kümmern müssen. Und Doktor Bliesath … kalt wie ein toter Fisch und in etwa genauso sympathisch. Aber das alleine macht ihn noch nicht zu einem Mörder.«
»Der Doktor ist hier in Lübeck sehr angesehen, Fritz.«
»Liebe Alexa, wenn du wüsstest, welche ach so angesehenen Bürger Hamburgs ich bereits in Situationen beobachtet habe, die gar nicht dazu geeignet waren, ihr phantastisches Ansehen zu bewahren … ich mache mir da keine Illusionen. In jedem Menschen kann ein Schwein stecken, ganz gleich, ob er den Abfall aus den Fleeten fischen muss oder sein Name auf einer Messingplatte an einem neu eingeweihten Krankenhaus steht. Das habe ich inzwischen gelernt.«
»Ich wünschte, du hättest unrecht. Also, wie sieht’s mit den anderen aus?«
»Was ich von diesem Pastor halten soll, weiß ich noch nicht so recht. Ich traue aus Prinzip niemandem, der so tut, als würde er mit dem lieben Gott jeden Mittwoch Golf spielen. Und Otto von Deuxmoulins … ich kann mir keinen Grund vorstellen, wieso der General einen seiner fähigsten Offiziere ermorden lassen sollte.«
»Nur weil du dir keinen Grund vorstellen kannst, bedeutet das noch lange nicht, dass es keinen geben könnte«, erwiderte Alexandra.
»Eins zu null für dich. Wie immer. Jedenfalls, es bleibt dabei: Von Rabenacker steht ganz oben auf meiner Liste. So wie der sich aufgeführt hat … Leider ist an ihn schlecht ranzukommen, aber da lässt sich sicher ein Weg finden.«
Sie erreichten Yvonne Conways Haus in der Schildstraße, unweit der Aegidienkirche. Das Stadtpalais aus dem achtzehnten Jahrhundert wirkte mitten in einer Stadt, die von Treppengiebeln aus Backstein geprägt wurde, fast wie ein Eindringling aus einer fremden Welt. Es stand zurückgesetzt von der Straße, seine fensterreiche Fassade erstreckte sich über drei der schmalen alten Grundstücke. Ein schlichter schmiedeeiserner Zaun trennte den kiesbestreuten Vorplatz vom Gehweg. Aus den weit geöffneten Türen und Fenstern drang Musik; eine Jazzband spielte auf die pedantisch notengetreue Weise, die für deutsche Musiker so typisch war, das populäre My Wonderful Dirigible .
Vor dem Eingangsportal blieben Friedrich Prieß und Alexandra Dühring kurz stehen. »Wird sie wieder so überdreht sein wie in dem Ausflugslokal?«, fragte er besorgt.
»Oh nein«, erwiderte Alexandra grinsend. »Da hatte sie wohl einen schlechten Tag. Meistens ist sie noch viel lebhafter.«
»Na dann, machen wir uns auf einen anstrengenden, aber unterhaltsamen Abend gefasst«, lachte Prieß. »Lass uns reingehen.«
Kaum hatten sie das Palais betreten, da kam ihnen schon Yvonne Conway in einem scharlachroten Kleid aus dem Salon entgegengewirbelt und hieß ihre eben erschienenen Gäste überschwänglich willkommen.
»Oooh, how wonderful«, rief sie aus, »Frau Dühring und ihr reizender Freund, Mr. Prieß! Ich freue mich ja so, dass Sie kommen konnten, that’s so fantastic.«
»Wir freuen uns, dass Sie uns eingeladen haben, Miss Conway«, entgegnete die Polizeipräsidentin. »Und wir möchten uns für die Verspätung entschuldigen.«
»No, please, don’t be silly. Ich werde ohnehin erst in einer halben Stunde den erfreulichen Anlass für diese kleine Party bekannt geben. Kommen Sie doch herein, meet the other guests, amüsieren Sie sich.«
Dieser Aufforderung konnten sie kaum widersprechen, also folgten Friedrich und Alexandra der quirligen Gastgeberin durch die hohen Flügeltüren in den Salon.
Hatte Prieß anfänglich noch damit gerechnet, sich unter Yvonne Conways Gästen deplatziert vorzukommen, lösten sich diese
Weitere Kostenlose Bücher