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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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seines kleinen Koffers und fügte mit einem Kopfschütteln hinzu: »Um ganz ehrlich zu sein, Frau Polizeipräsidentin … eine Schreibmaschine hätte ich hier als Letztes erwartet. Nun ja, man erlebt immer wieder Überraschungen. Meine Arbeit hier ist jedenfalls getan. Wenn Sie gestatten, fahre ich nun zurück zum Revier, Frau Polizeipräsidentin.«
    Sie gestattete es, und der Inspektor verließ die Wohnküche. Nachdem sie alleine war, sah Alexandra sich noch einmal in der Behausung des toten Strichjungen um.
    Hinrichs hat völlig recht , dachte sie, in dieser Umgebung wirkt eine Schreibmaschine so fehl am Platze wie ein Perserteppich in einem Schweinestall.
    In Stölles heruntergekommener Wohnung in einem vernachlässigten Mietshaus nahe dem Bahnhof deutete nichts auf ein auch nur durchschnittliches intellektuelles Niveau des einstigen Bewohners hin. Stölle hatte nur wenige Schriftstücke hinterlassen, ausnahmslos Notizen auf zusammengesuchten Papierfetzen. Seine Handschrift wirkte breit und ungelenk, die kreuz und quer verlaufenden Zeilen enthielten wohl doppelt so viele Schreibfehler wie Wörter. Dass diese Zeugnisse geistiger Armseligkeit und der einwandfrei formulierte angebliche Erpresserbrief von derselben Person stammen sollten, hielt Alexandra für ausgeschlossen. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass in der Wohnung eines solchen Menschen ausgerechnet eine Schreibmaschine stehen sollte. Es sei denn, jemand hätte sie absichtlich dorthin gebracht.
      
    Alexandra zog die ungefüge Wohnungstür hinter sich zu und stieg die knarrenden Stufen hinab. Das Treppenhaus war düster, von den Wänden platzte die schmutzig grüne Ölfarbe. An manchen Stellen war der Putz abgefallen und das grobe Ziegelmauerwerk lag bloß. Auf halbem Weg zwischen den Stockwerken befand sich die Toilette. Obwohl die Tür geschlossen war, lag der faulige Geruch von abgestandenem Urin und Exkrementen in der Luft. Voller Ekel ging Alexandra schneller.
    Sie war glücklich, nicht in einem Haus wie diesem leben zu müssen. In Berlin, Hamburg, dem Ruhrgebiet, einfach überall, wo die Industrie Massen von Arbeitskräften benötigte, gab es ausgedehnte Viertel dieser finsteren, muffigen, feuchten Mietskasernen. In solchen Gegenden war ein Großteil des Millionenheeres der deutschen Fabrikarbeiter zu Hause. Menschen, die ohne jede Aussicht auf eine Verbesserung ihres miserablen Lebens existieren mussten. Die völlige Trostlosigkeit des Dahinvegetierens in diesen grauen, heruntergekommenen Arbeitervierteln führte dazu, dass sich ihre Bewohner in den Alkohol flüchteten – und in Ausbrüche dumpfer, sinnloser Gewalt. Meistens blieb es bei brutalen Schlägereien, ausgeschlagenen Zähnen und Knochenbrüchen. Manchmal aber verschwanden durch die Verrohung auch die letzten Hemmungen und die Bestie kam zum Vorschein. Dann fand man die Leiche eines brutal vergewaltigten sechsjährigen Mädchens in einem Kohlenkeller, oder einer alten Frau wurde wegen einiger Groschen der Schädel zertrümmert. Die tristen Mietskasernen mit ihren engen, lichtlosen Hinterhöfen waren Brutstätten aus der Hoffnungslosigkeit geborener Gewalt. Sie brachten das Schlechteste im Menschen ans Tageslicht.
    Alexandra Dühring war froh, dass Lübeck keine Industriestadt war und daher nur wenige dieser Häuser aufzuweisen hatte. Um nichts in der Welt hätte sie mit einem ihrer Amtskollegen in den Metropolen des Reiches tauschen und sich dessen nie endende Probleme mit den Arbeiterghettos aufladen wollen. Sie stieg die Treppe noch schneller hinab; die ausgetretenen Holzstufen knackten unter ihren Absätzen. Endlich erreichte sie das Erdgeschoss und trat durch die Haustür hinaus auf die im hellen Sonnenlicht liegende Straße.
    * * *
     
    Mit der sich ankündigenden Dämmerung kehrte schleichend Ruhe in Lübeck ein. In der Altstadt saßen die Menschen auf Bänken vor den Häusern und genossen nach der Arbeit des Tages den schönen Abend. Die Spediteure und Frachtkutscher hatten ihre Fuhrwerke an den Straßenrändern abgestellt, nun spielten Kinder auf den Kutschböcken und Ladeflächen. Obwohl der Einbruch der Dunkelheit noch nicht bevorstand, sprangen schon die Selbstzünder der Gaslaternen an.
    »So weit meine Erkenntnisse in Sachen Siegfried Stölle«, sagte Alexandra zu Friedrich, während sie die Aegidienstraße hinabgingen. »Und was hat dein Tag erbracht?«
    Sein Gesichtsausdruck verriet Erfolglosigkeit, noch ehe Prieß ein Wort von sich gegeben hatte. »Ich habe

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