Kaisertag (German Edition)
Hintern versetzt , sagte er sich, aber deshalb darf ich mich doch noch lange nicht an ganz Deutschland rächen, indem ich eine Spionin frei herumlaufen lasse. Vielleicht kommt es ja wegen der verfluchten Dänen wirklich zum Krieg mit England. Und wer weiß, wie viele Menschen dann draufgehen müssten, wenn dank ihrer Vorarbeit wirklich Bomben auf das Forschungsinstitut geworfen werden.
Doch Prieß konnte sich auch nicht überwinden, die Engländerin dem RMA auszuliefern. Er hatte ihr sein Wort gegeben, und das nahm er ernst. Und schließlich war da auch die heimliche Hoffnung, dass im Kriegsfall einige britische Luftschiffbomben auf Maximilian Sonnenbühls Kopf fallen könnten. Darum verschob er die Entscheidung, wie er mit Miss Conway weiter verfahren würde, auf einen späteren Zeitpunkt.
Ungeduldig schob Prieß den Vorhang der Kabine ein kleines Stück zur Seite und blickte hinaus. Die Angestellte der Reinigung bediente gerade eine dicke Frau, die einen schweren Wintermantel mitgebracht hatte. Hinter dem Tresen hingen an dem Deckenlaufband, das in die rückwärtigen Räume der Reinigung führte, Bügel mit allen möglichen frisch gereinigten Kleidungsstücken, aber der Anzug war nicht darunter. Verärgert zog Prieß den Vorhang wieder zu. Er nahm sich eine der bereitliegenden Zeitschriften und blätterte desinteressiert durch eine Fotoreportage über die zweiwöchige Reise der Prinzessin Cora von Baden durch Deutsch-Ostafrika. Die Bilder zeigten die jüngste Tochter des Großherzogs bei Besuchen auf Kaffee- und Kautschukplantagen sowie bei einer Safari im Generalgouverneur-Lettow-Vorbeck-Wildreservat. Vermutlich waren dabei nur handverlesene Fotojournalisten zugelassen gewesen; nach dem kleinen Skandal, den die Aufnahmen in der italienischen Illustrierten Tempo di Roma vor einem Vierteljahr ausgelöst hatten, fand Prieß das sogar sehr wahrscheinlich. Ein Fotograf mit Teleobjektiv hatte die Prinzessin während ihres privaten Urlaubs in der Karibik aus sicherer Entfernung unbemerkt abgelichtet und diese Bilder dann für viel Geld verkauft. Prieß war nach wie vor der Ansicht, dass die ansehnliche junge Frau im zweiteiligen brasilianischen Badeanzug eine sehr gute Figur machte, aber im badischen Herrscherhaus war man über die Fotos gar nicht glücklich gewesen. Auch durch die konservative deutsche Presse war ein Sturm der Entrüstung über die schamlosen italienischen Journalisten gegangen. Nun versuchte man mit allen Mitteln, die Badende Prinzessin , wie sie inzwischen überall genannt wurde, wieder in ein angemesseneres Licht zu rücken. Trotzdem erschienen Friedrich Prieß die Bilder von Prinzessin Cora im Tropenanzug längst nicht so reizvoll.
Als er lustlos die Artikel überflog, fiel ihm das Abflussrohr wieder ein. Ihm war klar, dass unmöglich jemand auf diesem Wege eine Atombombe aus dem Institut entwenden konnte, denn aus den Berichten in Zeitungen und Wochenschau wusste er, dass die Bombe fast so groß wie zwei Ölfässer war und sicher auch sehr schwer sein musste. Aber vielleicht könnten dänische Terroristen durch das Rohr eindringen und die Atombombe zur Explosion bringen? Wer wusste schon zu sagen, wie weit die ›Freunde Jütlands‹ in ihrem blinden Hass gehen würden? Beunruhigt kaute Prieß auf der Unterlippe. Er entschloss sich, so bald wie möglich eine kurze anonyme Mitteilung mit einem Hinweis auf das Entwässerungsrohr an die Sicherheitsabteilung des Forschungsinstituts zu schicken, obwohl es ihm gar nicht passte, Major Sonnenbühl auch noch Arbeit abzunehmen.
»Ihr Anzug ist fertig, mein Herr«, hörte Prieß die Bedienung vor der Kabine sagen. »Bitte verzeihen Sie, dass es so lange gedauert hat. Die Grasflecken in der Hose waren leider sehr hartnäckig, wir mussten sie von Hand nachbehandeln.« Sie reichte den Kleiderbügel mit Hose und Jackett durch den Vorhang herein. Prieß nahm den noch leicht nach Chemikalien riechenden Anzug entgegen und bedankte sich. Er war schon zufrieden, dass seine Kleidung überhaupt wieder manierlich aussah und er jetzt nicht mehr Gefahr lief, vom nächstbesten Schutzmann wegen Landstreicherei verhaftet zu werden. Wenn das passiert wäre, hätte Alexandra sich vermutlich vor Lachen ausgeschüttet. Um diese peinliche Situation zu vermeiden, nahm er auch gerne eine Stunde Wartezeit in Kauf.
Als Prieß in die Gaststube des Hotels kam, um sich den Zimmerschlüssel zu holen, begrüßte ihn der Wirt voller Erleichterung. Zu seiner Überraschung erfuhr
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