Kaisertag (German Edition)
Oberst. Ich gehe davon aus, dass Sie es mir ohnehin nicht sagen würden, wenn ich recht hätte, aber ich frage Sie trotzdem: Wurde Gustav Diebnitz vom britischen Geheimdienst ermordet?«
»Die Antwort, Herr Prieß, ist nein. Es ist die Wahrheit, ob Sie mir das nun glauben oder nicht. Aber ich würde etwas darum geben, zu erfahren, wer einen Nutzen vom Tod des Obersts hatte. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen Sie einen Selbstmord ausschließen. Aber ich und … nun, gewisse andere Leute sind der Ansicht, dass Suizid ganz und gar nicht zum Charakterbild dieses Mannes gepasst hätte, ganz zu schweigen von dem fehlenden Motiv und den verdächtigen Folgeereignissen. Sind Sie nun zufrieden?«
»Ich danke Ihnen, Miss Conway. Nur zwei kleine Fragen noch … sagt Ihnen der Name Paul von Rabenacker etwas?«
Grübelnd strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Warten Sie … ja, aber nicht viel. Er war meines Wissens vor Jahren Adjutant bei Feldmarschall Graf von Kai-Feng. Aber sonst kann ich mit dem Namen nichts in Verbindung bringen. Und was ist die zweite Frage?«
»Die hat rein gar nichts mit dem Fall Diebnitz zu tun. Ich möchte nur zu gerne wissen, welcher Zusammenhang denn eigentlich zwischen dem Forschungsinstitut und der Atombombe besteht. Verraten Sie es mir?«
Yvonne Conway drehte nachdenklich einen Kohlestift zwischen den Fingern und schaute flüchtig hinüber zu den Gebäudekomplexen des Physikalischen Forschungsinstituts. Dann antwortete sie: »Weil diese Bomben hier gebaut werden, Herr Prieß. In dieser Stadt, in diesen Laboratorien. Und gerade zu diesem Zeitpunkt liegt dort mindestens eine fertige Atombombe, bereit für den Transport in die Südsee.«
Um ein Haar wären Friedrich vor Schreck die Beine weggeknickt. Eine Bombe, von der er gelesen hatte, dass sie im Umkreis von Kilometern jedes Leben auslöschte, befand sich keine zweihundert Meter entfernt von ihm. Er spürte, wie sich ein Kloß in seiner Kehle bildete. »Sie machen Witze! Da vorne? Eine Atombombe?«
»Wenn nicht schon mehrere, wer kann das mit Sicherheit sagen? Aus diesem Grund bin ich ja hier … wie Sie ganz richtig erkannt haben, sollen meine Lagepläne die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Labors im Notfall schnell ausgeschaltet werden können. Herr Prieß, die Engländer beziehen vielleicht im Moment laut tönend Stellung gegen das Deutsche Reich – sie versuchen damit jedoch vor allem, sich selber Mut zu machen. Können Sie sich überhaupt ausmalen, welche Angst wir vor einer Bombe haben, die ganze Städte verglühen lassen kann? Und das in so unsicheren Zeiten …«
Sie besah sich das halb fertige Bild auf der Staffelei und ließ die Fingerspitzen über den Rand des Kartons gleiten. »Ich dachte wirklich, niemand würde je auf den Gedanken kommen, englische Spione könnten sich Methoden bedienen, die schon vor Jahrzehnten in Jugendbüchern publik gemacht worden sind. Und es sah auch ganz so aus … mehrmals bin ich hier oben von Sicherheitsleuten des Instituts kontrolliert worden, und nie fiel einem von ihnen das Muster des Schmetterlings auf. Es ist nun Ihre Pflicht, mich verhaften zu lassen, Herr Prieß.«
»Liebe Miss Conway, was meine Pflicht ist, entscheide nur noch ich. Von unserem Gespräch wird niemand erfahren. Vielleicht wird mir das Gewissensbisse eintragen, aber das bezweifle ich. Inzwischen bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob es so etwas wie ein Gewissen überhaupt gibt. Ich danke Ihnen nochmals für Ihre freundliche Hilfe und rate Ihnen, sich künftig andere Motive für ihre Bilder zu suchen. Wer weiß, ob nicht doch einmal ein Sicherheitsmann hier oben auftaucht, der ebenfalls als Junge Sir Baden-Powells Buch verschlungen hat. Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch.«
Mit diesen Worten stieg Friedrich Prieß den Hang hinab und ließ eine sprachlose Yvonne Conway auf dem Gipfel des Hügels zurück.
Prieß hatte zwar Zweifel, ob es richtig war, die Engländerin unbehelligt zu lassen. Aber diese Zweifel plagten ihn nicht besonders, nicht nach seinen jüngsten Erfahrungen.Nachdem er nun wusste, dass das Deutsche Reich Männer belohnte, die ihre Kameraden wegen Nichtigkeiten denunzierten, war seine schon seit Langem eher gewohnheitsmäßige als begeisterte Loyalität gegenüber dem Vaterland erheblich abgekühlt. Er sah keinen Anlass, einem Staat einen Gefallen zu erweisen, der ihm so böse mitgespielt hatte. Andere Dinge beschäftigten ihn jedoch viel stärker, während er
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