Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
Vom Netzwerk:
der Detektiv, dass im Verlauf der vergangenen Stunde jemand über zehnmal angerufen und nach ihm gefragt hatte. Prieß konnte sich nicht vorstellen, wer ihn so dringend sprechen wollte, und erkundigte sich nach dem Namen des Anrufers. Der Wirt nahm den Schlüssel aus dem Wandregal und meinte entschuldigend: »Ich bedauere sehr, aber das weiß ich nicht. Er hat seinen Namen nicht genannt. Falls er noch einmal anrufen sollte, darf ich ihm dann ausrichten, dass Sie wieder im Hause sind?«
    »Ja, sicher. Ich bitte darum«, antwortete Prieß und nahm den Schlüssel entgegen. Er fragte sich, wer sich hinter diesem unbekannten Anrufer verbergen mochte. Gerade wollte er die Gaststube wieder verlassen, als das Telefon auf dem Tresen schrillte. Zähneknirschend hob der Wirt ab und hatte sich kaum gemeldet, da verdrehte er entnervt die Augen. »Sie haben Glück«, sagte er, »Herr Prieß ist soeben zurückgekehrt. Einen Moment, bitte.« Mit den überflüssigen Worten »Es ist für Sie, mein Herr« überreichte er Friedrich den Hörer.
    Neugierig meldete er sich und hörte dann am anderen Ende der Leitung einen Mann sprechen:
    »Sie möchten wissen, warum Oberst Diebnitz sterben musste? Ich weiß es, und ich bin bereit, mein Wissen mit Ihnen zu teilen.«
    Die Erwähnung von Diebnitz wirkte wie ein Stromschlag. »Wer sind Sie?«, fragte er, obgleich ihm klar war, dass er keine Antwort zu erwarten hatte.
    »Das ist im Moment nicht wichtig«, erwiderte der Fremde. »Also, wollen Sie die Wahrheit über Diebnitz’ Tod erfahren?«
    »Zum … ja, natürlich. Was wissen Sie darüber?«
    »Nicht am Telefon«, meinte der Unbekannte. Er sprach plötzlich gedämpft, als befürchtete er, jemand könnte ihn hören. »Ich will, dass Sie morgen Vormittag um halb zehn in Kronsforde sind. Warten Sie beim Kriegerdenkmal auf dem Dorfplatz. Ich weiß, wie Sie aussehen, und werde Sie ansprechen. Haben Sie alles verstanden?«
    »Ja doch«, entgegnete Prieß barsch. Die geheimnistuerische Art seines namenlosen Gesprächspartners gefiel ihm gar nicht, aber er wollte sich diese Chance auch nicht entgehen lassen. Für einen Privatdetektiv gehörte es außerdem zum Alltag, Informationen von Leuten zu erhalten, die im Halbdunkel blieben und dafür auch ihre Gründe hatten. Es war ärgerlich, aber oft unvermeidbar.
    »Sehr gut«, sagte der Fremde, nun fast flüsternd, »also werden wir uns morgen sehen. Und kommen Sie alleine.«
    Es knackte in der Leitung. Der Unbekannte hatte aufgelegt.
      
    »Es tut mir wirklich leid«, versicherte die junge Polizistin in Alexandra Dührings Vorzimmer, »aber die Frau Polizeipräsidentin ist noch nicht von ihrer Besprechung im Rathaus zurückgekommen. Möchten Sie ihr vielleicht eine Nachricht hinterlassen?«
    Prieß war zunächst überrascht gewesen, ein vielleicht neunzehnjähriges Mädchen hinter dem Schreibtisch vorzufinden; er hatte fest geglaubt, Alexandra wäre die einzige Frau, die eine Lübecker Polizeiuniform trug. Unschlüssig fuhr er sich mit der Hand über das Kinn. »Ich weiß nicht … wird sie denn heute noch in ihr Büro kommen? Wenn nicht, wird sie meine Mitteilung erst am Montag lesen, und das ist zu spät. Vielleicht sollte ich lieber eine Notiz bei ihrer Haushälterin hinterlassen.«
    »Oh, machen Sie sich darum keine Sorgen, mein Herr. Ich habe morgen auch Dienst. Wenn die Frau Polizeipräsidentin heute nicht mehr hier erscheint, werde ich die Nachricht gleich morgen früh bei ihr zu Hause abliefern. Wäre Ihnen das recht?«
    Prieß wurde das deprimierende Gefühl nicht los, dass die Freundlichkeit der Polizistin zum Teil auf ihren Respekt vor Älteren zurückging; das Angebot nahm er aber dennoch gerne an. Er schrieb eine kurze Notiz über den Anruf und das geplante Treffen mit dem Informanten. Die Polizistin gab ihm einen Briefumschlag mit dem doppelköpfigen Wappenadler und dem Schriftzug der Lübecker Polizei, sodass der Zettel vor unbefugten Blicken geschützt war. Dann übergab er die Botschaft der jungen Frau, bedankte sich nochmals höflich und verabschiedete sich.
    Als er das Polizeipräsidium verlassen hatte und die Straße entlangging, kamen ihm Zweifel, ob es wohl klug gewesen war, sich auf das Treffen in Kronsforde einzulassen. Der Verdacht, dass er in eine Falle gelockt werden sollte, ließ ihn nicht los. Vielleicht war er Diebnitz’ und Stölles Mördern zu lästig geworden, und sie wollten ihn nun ebenfalls ausschalten. Ihm war unwohl zumute, und selbst die Aussicht, den Fall

Weitere Kostenlose Bücher