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Kaktus zum Valentinstag

Kaktus zum Valentinstag

Titel: Kaktus zum Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Schmidt
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Mehrtausendteile-Puzzles zusammenbauen konnte, wie ich mit dem Fahrrad überall hinfuhr, um alle Straßen gesehen zu haben.
    Bei dem Gedanken, dass diese Zeiten für immer und ewig in meinem Leben vorbei sind, beginnt mein Gesicht nass zu werden. Stundenlang hallen die hellen Stimmen der Kinder aus dem Dorf im Fernsehen noch nach. Mir wird immer klarer, dass es nur genau eine einzige Möglichkeit gibt, diese Zeit noch einmal zu erleben. Indem ich eigene Kinder habe.

Begegnung mit einem toten Freund
    Wieder ist ein Wäschepaket bei mir eingetroffen. Von der Locken, wie alle sechs Wochen. Inmitten der duftenden, mich streichelnden, sauberen Wäsche finde ich ein Kuvert mit einem Zeitungsausschnitt sowie einen Zettel mit ein paar Zeilen meiner Mutter.
    Der Zeitungsausschnitt entstammt der letzten Seite, auf der immer die Todesanzeigen stehen. Doch diese Anzeige ist anders. Da steht nicht der Name einer alten Oma drauf, sondern der Name eines Menschen, mit dem ich etliche Jahre zusammen an der Schule verbracht habe: Roland.
    Er war einer der vier Geeks und Nerds meines Abijahrgangs, einer der vier Mathefreaks, einer der vier Physikcracks und einer der vier einzigen Schüler, die den noch schulfrischen Informatikunterricht genossen. Einer von denen, die immer mehr wussten als der Lehrer.
    Er war schon an der Schule krank, obwohl man ihm nichts ansah. Seine Mutter stand einmal vor dem Lehrerzimmer und sagte nur wenige Worte, die sich mir deswegen einbrannten: »Es ist ernst, sehr ernst!« Dann regnete es in ihrem Gesicht. So erfuhr ich, dass er Krebs im Blut haben sollte. Doch gesehen hatte man es nicht.
    Er trug oft eine weinrote, enge Hose, dazu ein gelbes knappes Shirt. Oder eine enge ausgewaschene Jeans, bei der die Naht hinten schief war, deren eine Tasche geflickt und aufgesetzt war und die ihm vorne bei einer Schneeballschlacht an der Schulbushaltestelle platzte, weil zu eng im Schritt.
    Er war eine Frohnatur, er hatte nicht – so wie ich – diese Mauer in sich, die sowieso keiner an der Schule zu haben schien. Er nahm seine Krankheit sehr gelassen. Er ging das Leben offensiv an. Er hatte überhaupt keine Probleme im Umgang mit seinen Mitschülern. Er war überall beliebt.
    Nun halte ich eine Anzeige in der Hand, auf der sein Name steht. Es war also tatsächlich sehr ernst. Er hat den Kampf mit dem Krebs verloren. Er hatte keine Gelegenheit, das Leben jenseits der Schulpforte in vollen Zügen zu erforschen.
    Ich bin getroffen. Und weiß eigentlich gar nicht, warum. Ich bin nicht traurig, nein, ich bin getroffen. Weil mir die Vergänglichkeit des Seins wieder einmal unmittelbar begegnet. In diesem Moment. Sein Tod ist ein untrügliches Zeichen der ewigen Veränderung. Er kannte mich, ich kannte ihn.
    Damals, als meine Omas starben, erreichte mich das nicht. Man war vorbereitet auf den Abschied, auf den Umzug des morschen und faltigen Körpers auf den Friedhof. Das gehörte zum Plan. Aber dass dieser Typ mit den engen Jeans nicht mehr da sein soll, macht mich betroffen.
    Er war jünger als ich, er hatte im Sommer Geburtstag. Auch das weiß ich noch. Er hätte, wenn er es sich gewünscht hätte, als Kind zum Geburtstag sicherlich ein Kettcar bekommen, das Kettcar, das ich nie bekam, weil ich im Winter Geburtstag habe. Und im Sommer gab es keine Kettcars als Geschenk. Jedenfalls nicht bei meinen Papamamas. Weil da ja kein besonderer Tag im Kalender stand.
    In den wenigen Zeilen empfiehlt mir die Locken, ihm doch eine Trauerkarte zu schreiben. Wie und warum soll ich ihm eine Karte schreiben, er kann sie doch sowieso nicht mehr lesen? Aber eine tiefe Stimme in mir sagt, dass ich seinen am Grabstein stehenden Verwandten mitteilen müsse, dass ich an ihn denken musste.
    Trauerkarten, die bekommen doch immer diejenigen, die noch da sind, die ihn kannten, die mit ihm verwandt waren. So kaufe ich eine Karte und schreibe darauf folgende Zeilen:
    Lieber Gott! – Warum?
    Er war doch so jung und rein,
    sorgte für manchen Sonnenschein
    und kämpfte, um zu leben,
    tat nach Höherem streben;
    und dennoch – es sollte nicht sein!
    Es herrscht Silentium!
    Peter Schmidt
    Dann frankiere ich das Kuvert und bringe es zum Briefkasten. Auf dem Rückweg frage ich mich, warum ich das getan habe. Er war doch gar kein richtiger Freund von mir. Einfach nur ein Kurskamerad an der Schule. Privat habe ich den doch nie besucht – und er mich auch nicht. Wir verstanden uns nur, weil er genauso wie ich die Sprache der Mathematik und die der

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