Kaktus zum Valentinstag
hatte, dass der eigene Glaube gezielt manipuliert wurde. Dass sie auf Denkverbote stieß, die ihr zu schaffen machten, und sie somit dort nicht das gefunden hatte, was sie gesucht hatte. Auf der Basis bereits ausgetauschter Informationen verabreden wir uns zu einem ersten Date.
Am Fuß des emotionalen Gebirges
Es ist der 14.10.1991, ein wiesengrüner Tag. Das erste Date mit Martina steht an. Würde ich sie wiedererkennen? Wer ist sie wirklich? Wird sie Interesse an einer Freundschaft mit Potential für mehr haben? Und wie lernt man überhaupt jemanden kennen? Valentinstag ist heute nicht. Also braucht man heute auch keine Blumen. Um exakt 12:28 Uhr biege ich in die Straße ein, in der wir uns für 12:30 Uhr verabredet haben.
Vor der Zahnarztpraxis steht eine Mädchenfrau in ockerfarbener Jacke mit einem großen Dreieck auf dem Rücken. Stimmt, in den engen weißen Klamotten aus der Praxis kann ich sie hier draußen wohl kaum erwarten. So schaue ich etwas genauer hin, ob sie es wirklich ist, als bereits eine deutlich sichtbare körperliche Reaktion ihrerseits auf mein Erscheinen erfolgt.
So kann ich davon ausgehen, dass sie es auch wirklich ist. Puh, das ist geschafft! Denn früher dauerte es fast ein halbes Jahr, bis ich in der Klasse alle kannte. Und an der Uni, ja, auch da gibt es immer wieder peinliche Verwechslungen. Leider kann ich mir keine Gesichter merken, die ich nicht immer wieder und wieder sehe.
Ein gegenseitiges, freundliches »Hallo« räumt letzte Unsicherheiten endgültig aus und bestätigt die richtige Einschätzung. Erleichterung macht sich in mir breit. Nun gilt es, schnellstmöglich herauszufinden, ob sie die Frau fürs Leben ist. Solange ich mir vorstellen kann,dass sie tatsächlich die Gesuchte sein kann, werde ich ihr nun Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Zeit schenken, die dafür sorgen sollen, dass wir uns wieder und wieder verabreden. Am besten für immer. Somit müssen es vor allem schöne Erinnerungen sein, Dinge, die sie nur mit mir erleben kann. Wenn mir das gelingt, wäre es für sie auch einfacher, Dinge an mir zu akzeptieren, die sie vielleicht nicht mag oder die sie merkwürdig finden wird. Und davon wird es sicher einige geben.
Unser erstes Zusammentreffen besteht darin, dass wir durch Gettorf spazieren. Ich will nun erst einmal wissen, wieso sie sich auf einmal doch für mich interessiert. Dabei stellt sich heraus, dass sie nur noch Freundschaften bei den Zeugen Jehovas hatte, die nun ja nicht mehr erlaubt seien. Natürlich erzähle ich ihr dabei auch mehr über mich. So lernen wir uns allmählich genauer kennen.
Die zweistündige Mittagspause der Praxis nähert sich schnell dem Ende. Aber es kommt zur Vereinbarung eines Folgetermins. Und das gleich am nächsten Tag! Geil! Oberaffengeil!
Ein paar Tage später komme ich zum ersten Mal nach Lehmsiekberg. So heißt das Vier-Häuser-Bauerndorf inmitten eines Naturschutzgebietes bei Fleckeby, wo Martina aufgewachsen ist und heute zusammen mit ihrer Mutter wohnt.
Sie ist eine kleindicke Karokittelmutter. Keine Frau mit knackigen Hosen, sondern eine Mutti im Babuschka-Look, wie ich sie oft in Russland gesehen habe. Überhaupt erinnert mich das Zuhause von Martina an Russland, ganz besonders an Listwjanka am Baikalsee. Das muss ich Martina natürlich gleich sagen:
»Bei euch sieht es ja aus wie in Russland!«
»Wieso Russland? Wie kommst du denn da drauf?«
»Es sieht hier aus wie in Sibirien. Moor. Einsame Wälder. Durchsetzt von Wiesen. Und dazwischen eine entlegene Siedlung. In so einer Umgebung fühle ich mich wohl. Ich liebe dieses naturnahe und idyllische Leben. Einerseits. Andererseits brauche ich das Rampenlicht der Welt, um Teil eines Ganzen sein zu können. Um Anregungen zu bekommen.«
»Viel mehr als das hier habe ich im Gegensatz zu dir noch nicht von der Welt gesehen.«
»Dann wird es aber Zeit, die Welt zu entdecken! Das können wir dann ja wunderbar zusammen machen. Es gibt genug Orte, an denen ich noch nicht war, und die erkunden wir dann gemeinsam!«
»Jetzt entdeckst du aber erst mal meine Mutter und mein Zuhause!«
Das Haus, in dem Martina groß geworden ist, ist groß, aber klein. Weil es von außen groß ist, innen aber nur wenige Räume hat. Eine Stube, Martinas Zimmer, das Elternschlafzimmer und die Küche sowie ein Bad, das entlegen über einen riesigen Raum erreicht wird, der landwirtschaftlich genutzt wird. Bauernkate nennt man so ein Haus, lerne ich von Martina.
Ihre Mutter scheint mich ja
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