Kaktus zum Valentinstag
ganz nett zu finden. Jedenfalls werde ich freundlich aufgenommen. Leider kommt mir das ganze Anwesen etwas verwahrlost vor. Das liegt wohl am Geldmangel der Familie. Ihr bereits verstorbener Vater war nach Martinas Erzählungen eine Art herb-verbitterter Breitcordhosen-Landwirt.
Alles in allem ist Martinas Zuhause aber auch ein herrlicher Ort der Nostalgie. Ein lebendes Museum sozusagen. Auf ihrem Hof könnte man einen alten Heimatfilm drehen, so sieht es da aus. Wie in »Uhlenbusch«, nur noch idyllischer. Viel einsamer. Viel abgelegener. Irgendwie herrlich. Aber auch irgendwie rückständig hoch drei. Die passende Musik dazu lasse ich in meinem Kopf erklingen. So schaffe ich es, unser Kennenlernen in eine Romanze zu verwandeln.
Nach dem ersten Besuch bei Martina bin ich wieder in Gettorf. Dort erzähle ich Frau Vogt von meiner Begegnung. Sie ist ganz begeistert: »Herr Schmidt, ich gratuliere Ihnen! Ich glaube, Sie haben da eine Frau gefunden, die einmal zu Ihnen steht. Wissen Sie, es mag dort zwar arm aussehen, aber diese Frau ist dennoch reich. Ihr Herz ist voller Wärme. Das war bei den anderen Damen nicht so, die Sie bisher so kennen gelernt haben!«
Als ich mich auf mein Zimmer zurückziehe, stelle ich den Plattenspieler an, um die zur Situation passende Filmmusik zu spielen. Kuschelrock lege ich auf. I’m waiting for a girl like you ertönt es aus dem alten Gerät. Dabei tauche ich vollends in die gesungenen Emotionen ein. Mögen die besungenen Dinge wahr werden. Möge die Mauer, die meine Emotionen abschirmt, verschwinden oder zumindest durchlässig werden.
Da muss ich an die Mauer denken, die ja auch Martina umgeben hat. Aber bei ihr war sie selbst gewählt und nicht permanent, weil sie ja erst als Jugendliche auf der Suche nach dem Sinn des Lebens freiwillig zu den Zeugen Jehovas konvertierte. Eine hingebaute Abschirmung. Wie die Berliner Mauer. Im Gegensatz zu der geheimnisvollenMauer, die mich umgibt, war es bei ihr also eine Barriere, die man einfach einreißen kann, wenn man wirklich will.
Ich überlege mir, ihr zu gratulieren, dass sie diese Mauer nun abträgt, dass sie den Weg gefunden hat, die vermeintliche Sekte, in der sie die letzten zwei Jahre verbracht hat, zu verlassen. Ich gehe dazu in einen Laden, um eine dafür passende Karte zu finden. Da gibt es nur Karten zum Geburtstag, zu Jubiläen aller Art, Todeskarten und viele andere Sorten mehr.
Aber leider gibt es keine passende Karte dafür, wenn jemand seine Mauer überwindet. Schließlich entscheide ich mich für eine schlichte, neutral klingende Karte. Sie liest sich so: »Zum freudigen EREIGNIS herzliche Glückwünsche.«
Etliche der Ereigniskarten haben Bilder mit Babys drauf. Es scheinen also Glückwunschkarten für eine Geburt zu sein. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist dies genau die richtige Karte, ist doch so eine Mauerüberwindung auch eine Art Neugeburt. Letztendlich kaufe ich die Karte und ergänze später die Zeilen von A. Gebauer:
»Es gibt viele Dinge in der Welt,
die man von fern für reizend hält!
Wenn sie aber uns näher kommen,
sind all die holden Farben verglommen,
und betrachtet man sie genau,
so sehn sie schwarz aus, zumindest grau.
… von einem vielleicht einmal guten Freund
Peter Schmidt
Im Oktober 1991«
Unser nächstes Treffen ist in Eckernförde. Da gebe ich ihr diese Karte. Als Andenken an den Beginn einer vielleicht reifenden, tiefer gehenden Beziehung.
Nach den ersten Tagen spricht vieles dafür, dass wir tatsächlich füreinander geschaffen sein könnten. Aber ganz anders, als ich es mir ursprünglich einmal vorgestellt habe. Denn sie hat nicht studiert, geht nicht tanzen und hat auch keine nennenswerten Reisen gemacht. Aber das sind alles Dinge, die sie NOCH nicht gemacht hat. Da geht noch was.
Und in allen grundsätzlichen Dingen, die nicht mit einem Noch änderbar sind, scheinen wir auf gleicher Wellenlänge zu funken.
In den folgenden Tagen treffen wir uns fast täglich. Meist in der Mittagspause, am Spätnachmittag und natürlich an den Wochenendtagen. Als Zeichen unserer Freundschaft beschließen wir, Hand in Hand zu gehen. Das muss es also sein, das »Miteinandergehen«, das die anderen schon damals in der Schule ausprobierten. Jahre später bin ich also auch endlich an diesem Punkt angekommen. Natürlich habe ich auch Cordula angefasst, aber das war anders als mit Martina. Hier liegen andere Schwingungen in der Luft. Das spüre ich.
So besuchen wir miteinander Hand in Hand
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