Kaktus zum Valentinstag
habe die Gelegenheit bekommen, mich in einer mehrmonatigen Fortbildung auf das Thema Informationstechnologie mit S, A und P vorzubereiten. Wieder habe ich abends keine Energie mehr. Aber diesmal nicht wegen der Menschen, sondern weil ich auf dieser Startbahn natürlich so schnell wie möglich abheben und an Höhe gewinnen möchte. Ich sehe es wie einen Start in eine neue Zukunft.
Im Juni 1998 ist es so weit. Wieder bringe ich Martina zum Weltflughafen, dem Krankenhaus. Um genau 17:30 Uhr kommen wir im Kreißsaal an. Wie schon bei Raphael drücken die Wehen wie brechende Wellen auf die Amplitude des zarten Herzschlags des zweiten Ras.
Urplötzlich gibt es einen senkrechten Ausschlag auf dem Herztonwehenschreiber. In diesem Moment ist die Kopfhaut des zweiten Ras zwischen den Beinen des Gnubbelchens zu sehen. Und auf einmal geht alles sehr viel schneller und glatter als beim ersten Ra. Nur zwei Minuten später, um genau 18:36 Uhr, ist alles vorbei. Tochter Ramona, unser zweites Ra, kommt ohne weitere Auffälligkeiten raus und landet somit planmäßig. Noch vor 22 Uhr verlassen wir das Flughafengebäude und nehmen Kurs auf unsere Wohnung.
So ist die Geburt unserer Tochter irgendwie im Hauruck-Verfahren nebenbei geschehen. Wieder hat das Sehnsuchtspendel einen Wendepunkt erreicht.
Im Tal des Melibokus
Es reichen wenige Bewerbungen, um Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und Angebote zu erhalten. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Und finde einen neuen Job bei einem Pharmakonzern im Rhein-Main-Gebiet.
Nauheim, ein großes Dorf südwestlich von Frankfurt, wird für die nächsten Jahre meine und damit auch die neue Heimat der Familie Schmidt. Die gefundene Wohnung hat eine große Landküche und ein riesiges Wohnzimmer. Genug Platz also. Der Blick aus der Küche und dem Wohnzimmer geht über Groß-Gerau hinweg genau zum Melibokus.
Dieser Berg am östlichen Rand des Oberrheintalgrabens markiert den Horizont unserer neuen Heimat. Im Südwesten sieht man bei klarer Sicht in der Ferne den Donnersberg bei Kirchheimbolanden, welch herrlich welliges Wort. Es beginnt wie ein Kopfsprung ins Wasser und endet in einer hohen Lippenwelle.
Nach Norden hin steht die Mauer des Taunus, mit dem Feldberg darin. Diese Mauer trennt den kühl gemäßigten Norden Deutschlands von den warm gemäßigten Klimaten des Oberrheintalgrabens. Dem Tal des Melibokus.
Im Job geht es gut voran. Fachlich bin ich der anerkannte Spezialist, der mit unüblichen Ideen interessant wird. Das, was mir in der Wissenschaft verwehrt blieb, erreicht mich jetzt. Es ist eine geile Zeit.
Am 11. August 1999 findet die einzige totale Sonnenfinsternis meines Lebens statt, die Deutschland trifft. Der Termin steht schon seit meiner Kindheit in meinem Terminkalender. Ein mehr oder weniger stationäres Wolkenloch im Lee des Pfälzer Waldes habe ich gestern auf Satellitenbildern gesichtet. Dort soll es hingehen. Wenn die Finsternis überhaupt sichtbar wird angesichts des schlechten Wetters, dann auf jeden Fall dort. Durch Regenschauer fahren wir von Nauheim aus schier aussichtslos unter einer geschlossenen Wolkendecke nach Südwesten. Aus dem Autoradio dudelt immer mal wieder ein sich so herrlich wiederholender Song Blue (Da Ba Dee) von »Eiffel 65«. Das Wetter zeigt sich astronomiefeindlich, bis wir in die Nähe des Pfälzer Waldes kommen. Dann, urplötzlich, leuchten blaue Löcher durch die Wolkendecke. Mit jedem Kilometer scheint mehr und mehr die Sonne. Wir realisieren, dass trotz aller düsteren Aussichten tatsächlich eine echte Chance besteht, die viel zitierte »schwarze Sonne«, die ja eigentlich der Mond vor der Sonne ist, zu sehen.
Kurz vor dem Erreichen der Totalitätszone sind es erst die Autobahnen, dann die Bundesstraßen und schließlich am Rand der Totalitätszone sogar die einfachen Landstraßen, die verstopft sind. So navigiere ich über die vielen holprigen Feldwege zu unserem Ziel. Ein kleines schlechtes Gewissen pocht in mir angesichts der vielen ignorierten »Durchfahrt-verboten«-/»Anlieger-frei«-Schilder. Denn angeblich darf man da nicht durchfahren, auch dann nicht, wenn man so wie wir ein dringendes Anliegen hat.
Bei hochsommerlichen Temperaturen und unter strahlender Sonne erreichen wir schließlich unser Beobachtungsgebiet, die Südpfalz, südlich von Landau. Während ringsherum sich drohende Wolken türmen, bleibt unser Wolkenloch tatsächlich, wie von mir vorausgesagt, erhalten. Anderthalb Stunden später beherrscht die
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