Kaktus zum Valentinstag

Weil bisher jede Antwort ein Kreisschluss war und ist. So als wenn man einem Schwarz-Weiß-Seher eine farbenbunte Welt beschreibt oder einem Blinden sagen würde, wenn er etwas anrempelt: »Kuck nächstes Mal doch bitte genauer hin!«
    Was meinen die alle genau, wenn sie von nonverbaler Kommunikation reden? Die Mau hat mir mal ein Buch darüber geschenkt. Danach spielt es eine Rolle, welche Körperhaltung man einnimmt oder wie man schaut, was ich zum Beispiel überhaupt nicht erkennen kann. Ich habe auf diesem Gebiet zwar ein wenig geübt, aber anscheinend kenne ich erst nur ein Randmeer eines noch viel größeren, mir noch völlig unbekannten Ozeans.
    Klar sehe ich verschiedene Grimassen in den Gesichtern. Aber ich kenne kein Gericht der Welt, das Urteile nach Gesichtsausdrücken fällt, da kommt es immer darauf an, was verbal oder schriftlich gesagt worden ist. Und zwar ausnahmslos. Wieso soll das denn auf einmal anders sein? Dann wäre ja niemals eine Information verbindlich! Das verstehe ich alles nicht. Wer weiß, ob das mit diesem Eisbergmodell wirklich stimmt? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
    Wie auch immer, mein Arbeitgeber scheint bemüht, mich zu fördern und dabei meine Defizite auch zu seinen eigenen Gunsten ausmerzen zu wollen. Bei einem Zielvereinbarungsgespräch sagt man mir, ich müsse mal erkennen, wie ich auf andere Menschen wirke. Vielleicht würde ich dann verstehen, was einer wirklichen Karriere im Weg steht.
    »Herr Dr. Schmidt, Sie bauen gerne Umgehungsstraßen um Ihre Schwächen, das ist gut, um bei Ihrem Bild mit den Straßen zu bleiben. Das verdanken Sie Ihrem offenbar hohen IQ. Aber EINE Umgehung, die können Sie niemals bauen: Es gibt einfach keine Trasse, die um die Menschen an sich herumführt. Sie leben hier unter Menschen, auch wenn Sie sich wie ein Außerirdischer fühlen mögen. Ich empfehle Ihnen mal ein Seminar, bei dem Sie etwas über sich erfahren, indem Sie Rückmeldungen über Ihre Außenwirkung erhalten. Aber Achtung! Wer die Wahrheit sucht, darf nicht erschrecken, wenn er sie findet! So ein Seminar ist nicht ohne!«
    »Ohne was?«
    »Sie müssen schon was abkönnen, emotional. Da wird Klartext geredet, damit es auch die verstehen, die es anders nicht verstehen können oder wollen!«
    So gibt es wieder einmal ein Seminar von der Firma, um meine Soft Skills zu verbessern. »Führung und Zusammenarbeit« heißt es und soll am Starnberger See stattfinden. Doch dieses Seminar scheint anders zu sein als alle, die ich bisher kennen lernen durfte. Während alle anderen Kommunikationsseminare bisher mit Teilnehmern aus der eigenen Firma bestückt waren, bin ich diesmal der einzige Teilnehmer meines Unternehmens. Und das ist wohl durchdachte Absicht, damit man sich auch mit Dingen outen kann, über die sonst eigentlich nie geredet wird. Das sei Voraussetzung für den Seminarerfolg, sagt man mir. Denn es gehe vor allem darum, zu erfahren, wie man auf andere wirke, um daraus Rückschlüsse auf eine Verbesserung des eigenen Führungsverhaltens zu ziehen.
    Die Personalentwicklung warnt mich ausdrücklich: Dieses Seminar sei nicht für jeden geeignet, da das Innere der eigenen Persönlichkeit schonungslos entlarvt würde. Dort bekäme ich nicht nur Feedback von einem einzelnen Menschen, das immer subjektiv sei, sondern von der ganzen Gruppe. Damit soll eine gewisse Objektivität gewahrt bleiben. Denn ein Feedback von Eltern, Freunden, einzelner Psychiater und so weiter sei in der Regel nicht viel wert, weil es immer rollenspezifisch, durch Erfahrungen subjektiv geprägt oder eben nur eine Momentaufnahme sei.
    Ich freue mich auf dieses spannende Seminar. Auf so etwas habe ich lange gewartet: Endlich einmal neutrale, gemittelte Feedbacks zu erhalten.
    Drei Wochen später treffe ich am Starnberger See ein. Ich finde mich in einem fernöstlich eingerichteten Hotelzimmer voller Buddhas wieder, die mich sofort an Tibet erinnern, an das Dharma-Rad mit seinen acht Speichen. Hier sollen mir also die vier edlen Wahrheiten und der achtfache Pfad in Erinnerung gerufen werden.
    Am nächsten Morgen begrüßt der Seminarleiter alle Teilnehmer und weist ausdrücklich daraufhin, dass es sich bei diesem einwöchigen Kurs um ein 24-Stunden-Seminar handele, dass selbst die Kaffeepausen und die Schlafenszeiten Teile des Seminars und Handys nicht erlaubt seien.
    Es sollen die härtesten, aber lehrreichsten Seminartage meines Lebens kommen. Ich werde mit Dingen konfrontiert, die viel, viel größer als