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Kaktus zum Valentinstag

Kaktus zum Valentinstag

Titel: Kaktus zum Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Schmidt
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ausgestellt wird, und das andere Zeichenwort für das Land steht, für das das Visum gelten soll, und das erste Zeichen des ersten Zeichenwortes »Mitte« bedeutet, da es ja den Platz in der Mitte im Zugabteil kennzeichnet, schließe ich daraus:
    中国 = Mittenland oder Mittenreich oder Reich der Mitte sowie
    德国 = Deutschland oder Deutsches Reich oder Land der Deutschen
    Daraus folgt, dass die beiden Zeichen rechts und links des Mittelplatzes im Zugabteil mit hoher Wahrscheinlichkeit »Fenster« und »Gang« bedeuten. Auf diese Weise kann ich so auch ohne Vokabeln ganze fünf Zeichen identifizieren.
    Dies ist genau der Weg, wie ich alles im Leben gelernt und aufgenommen habe. Selten durch Nachmachen, meist durch eigenes Denken und Erleben. Und wenn mir dann andere vorschreiben wollen, wie ich etwas zu machen habe, wenn ich einen für mich viel schnelleren, aber eben andersartigen Weg des Verstehens wähle, kommt oft Unverständnis auf. Manchmal muss ich mein Verständnis einer Sache später verfeinern, verallgemeinern oder gar ändern. Aber meistens nicht!
    Wenige Wochen nach der Rückkehr kommt die Lok bei Martina wieder einmal nicht planmäßig. Im Gegenteil, sie hat Verspätung auf unbestimmte Zeit. Martina ist erneut schwanger!
    Doch diesmal ist es anders. Das Ereignis ist im Sinne meiner Lebenserkenntnisse dynamisch geplant. Und wegen einer neuen Stelle mache ich mir diesmal auch keine Sorgen mehr. Da vertraue ich dem Prinzip der Schwingungen und Wellen, meinem Können und den drei Buchstaben: S, A und P.

Geheimnisvolle Elche im eisigen Ostwind
    Nach wie vor kann ich mit dem ersten Ra, meinem kleinen Sohn, nicht viel anfangen. Er ist bei aller glucksiger Süßigkeit doch ein immer mal wieder schreiendes Etwas, das stört. Den Zugang, den andere Väter haben, finde ich nicht. Und meist mache ich merkwürdige Dinge mit ihm, sagen jedenfalls die anderen. So lasse ich Raphael schon frühzeitig lernen, die Welt mal aus nicht alltäglichen Perspektiven zu sehen. Indem ich ihn zum Beispiel gerne mal kopfüber auf den Schoß nehme. Was er glucksend quittiert. Was immer das bedeuten soll.
    Ich bin immer dann hilflos, wenn es um die emotionale Betreuung des Kindes geht. Ich weiß einfach nicht, was ich da tun soll. Und Martina hat so eine Geheimsprache entwickelt, mit der sie versteht, was dieses Kind eigentlich will. Das finde ich äußerst faszinierend. Und da ich mich ja an meine eigene Kleinkindzeit bestens erinnern kann, sehe ich auch erste Hinweise darauf, dass mein Sohn trotz mancher Ähnlichkeiten doch ganz anders ist, als ich es war. Irgendwie ist er wie alle Babys. Andauernd will er um seine Mutter herumscharwänzeln. Das geht so weit, dass ich regelrecht eifersüchtig werde. Ich brauchte das früher nicht. Ich habe meine Mutter nicht belästigt, indem ich ihr andauernd irgendwelche Sachen zeigen musste, die ich wieder einmal entdeckt hatte. Und ich entdeckte meist auch ganz andere Dinge, wie Lichtflecken an der Wand, die sich bildeten, weil die Sonne durch das Schlüsselloch schien.
    Noch mit neun Jahren löchelte ich das Licht. Ich spielte stundenlang mit dem Lichtfleck an der Wand. Oder stapelte hölzerne, bunteBauklötze, die in einem regenbogenbunten Dash-Eimer waren. Wieso macht mein Sohn so etwas kaum? Wieso begeistert ihn das nicht? Das ist alles sehr, sehr merkwürdig.
    Dafür interessiert er sich für Dinge, die mich völlig kaltgelassen haben. Stofftiere zum Beispiel. Die konnte man nicht ordnen, nicht stapeln. Deshalb waren sie für mich völlig uninteressant. Ich wollte immer alles entdecken. Es kam oft genug vor, da erstickte ich am Mangel an visuellen Anregungen. Wie auch jetzt wieder.
    Zu Hause halte ich es auf Dauer nicht aus. Weil das nur eine Wohnung ist. Ohne eigenen Garten. Ich brauche die Weite. Die Straßen der Welt rufen mich. Und deswegen breche ich erneut auf, ganz bewusst, um von Peking über das Himalaya-Gebirge nach Bombay zu gelangen. Und meine synästhetische Lebensstraße in die Realität zu bringen. Ich muss zu mir selbst finden. Allein. Ohne mein Gnubbelchen. Dem Gesetz der ewigen Schwingung folgen. Das Gebirge als trennende Mauer zweier Welten real erlebend überwinden. Den hochgebirglichen Weg von der trockenkalten Welt der Tibeter in die warme, feuchtere Welt der Inder nehmen.
    Der Landweg nach Tibet ist ein anstrengendes Abenteuer, auf dem ich anfangs vor allem mein Gnubbelchen, aber auch Raphael vermisse. Denn um mich herum regiert nur die tote, weite und erhabene

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