Kalifornische Sinfonie
Geschrei der Männer herüber. Dann vernahm sie Gesang:
»Kein starr’ Gesetz hat Raum in diesen Breiten;
Die Wüste frißt den Schwachen, der ihr naht.
Stolz lachend mußt die Hölle du durchreiten.
Nur harter Wille zwingt den Jubelpfad!«
Florinda biß sich auf die heißen, aufgesprungenen Lippen. Sie dachte an die Hölle, die hinter ihr lag, an die Hölle, die sie noch erwartete. John hatte ihr prophezeit, daß sie nicht durchhalten würde. Aber sie mußte und würde durchhalten. Nur noch zwei Wochen! dachte sie. Die Männer auf dem Weideplatz sangen mit herausfordernden Stimmen:
»Nur harte Arbeit gilt in diesen Breiten.
Ho, Boys! Wir haben Nerven wie aus Draht.
Pack fest dein Muli. Laß uns vorwärtsreiten!
Nur Mut und Kraft bezwingt den Jubelpfad!«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Von der Archillette ritten sie hinunter in die Mojawe-Wüste.
Es war ein rauhes und schreckliches Land. Noch als sie es lange hinter sich hatten, gedachte Garnet schaudernd der Felsenklippen und der endlosen Meilen weißen Sandes, der Staubwolken, die so dicht und undurchdringlich waren, daß die Maulesel wie blind dahinstolperten. Sie gedachte des brennenden Durstes, der ihr die Kehle wie mit einem Schüreisen ausbrannte, und der brennenden Schmerzen in ihrem verwundeten Arm, die sie unentwegt quälten, obgleich Texas den Arm gut und weich bandagiert hatte. Sie gedachte Florindas, die dünn wie ein Zahnstocher geworden war, während sie Nacht für Nacht in einer gleichsam atmenden Stille erschöpft dahinritt. Sie gedachte des Staubes, der Menschen und Tiere in dicken Schichten bedeckte, daß sie mit ihren rot entzündeten Augen Gespenstern glichen.
Es war die letzte Strecke der großen Reise und zugleich auch die schlimmste. Eines Tages sagte ihr Oliver, sie hätten es nun sozusagen geschafft. Sie würden durchkommen. Sie waren bisher immer durchgekommen. Dicht vor ihnen lag schon der Cajón-Paß, der von einem Bergflüßchen begleitet wurde, und jenseits des Passes befand sich die Ranch von Don Antonio Costilla.
Und sie kamen durch. Sie ritten das Gebirge hinan und betraten den Paß. Die Maultiere rochen das Wasser. Und obwohl sie eben vor Müdigkeit und Erschöpfung kaum noch gekrochen waren, begannen sie nun zu rennen. Sie rannten und rannten und hielten nicht an, bis sie das Flüßchen erreichten, von dem Oliver gesprochen hatte. Jetzt sanken Menschen und Tiere gleicherweise in die Knie, streckten sich der Länge nach aus und keuchten vor Glück. Oliver legte den Arm um Garnet. »Die Wüste liegt hinter uns«, sagte er. »Du wirst nicht mehr Durst leiden müssen.«
Garnet seufzte und entspannte die Muskeln. Ihr Blick fiel auf Florinda. Sie saß allein da; niemand hatte den Arm um sie gelegt. Sie hatte die Schuhe im Schoß und die nackten Füße im Wasser. Ihr Rücken lehnte an einem großen Stein; der Gischt sprang hoch und näßte ihr das Gesicht. Sie war allein.
Garnet trat zu ihr und setzte sich neben sie. Florinda maß sie mit einem lächelnden Blick. »War Oliver nicht eben bei Ihnen?« sagte sie.
»Ich war bei ihm«, entgegnete Garnet. »Aber die Männer sprechen jetzt miteinander; warum sollte ich also nicht zu Ihnen kommen? Sie sind allein.«
»Oh, mir macht das Alleinsein weiter nichts aus, Liebe«, versetzte Florinda, »ich bin es gewöhnt.«
Sie war so tapfer; Garnet brachte es nicht über das Herz, sie allein zu lassen; sie blieben den Rest des Tages zusammen. Als sie sich nach dem Abendessen gute Nacht sagten, küßte Florinda Garnet auf die Wange; es war nur der Hauch eines Kusses, zart wie ein Blütenblatt.
Die Männer ließen sich nun Zeit. Der Weg war steinig und hart, und das Flüßchen war eigentlich nur ein seichter Bach; man mußte noch immer sparsam mit dem Wasser umgehen. Aber sie hatten doch wenigstens das Notwendigste. Endlich, an einem Montag, es war der 3. November, erblickten sie Don Costillas Ranch.
Sie kamen um eine Gebirgsnase herumgeritten und sahen, immer noch in einiger Entfernung, vor sich inmitten einer ausgedehnten, eintönig braunen Fläche eine Gruppe Ziegelhäuser. Garnet blinzelte in einem unbestimmten Gefühl der Überraschung. Es war so endlos lange her, daß sie Häuser gesehen hatte, daß die Gebäude da unten ihr in dem staubigen Dunst unwirklich erschienen. Einer der Männer stieß einen Schrei aus. Der Schrei wurde von allen anderen aufgenommen und wurde zu einem heiseren Gebrüll. Die Männer trieben die Maultiere zur Eile an. Garnet wandte den Kopf und sah
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