Kalifornische Sinfonie
Die Bäume hängen voll davon.«
Sie saugte die Orange leer. Es war dies die erste Frucht nach endloser Zeit; sie schien ihr seltsamer zu schmecken, als je eine Orange in ihrem vergangenen Leben. Sie vergaß, wie verschmutzt und staubig sie war, und sank auf das Kopfkissen zurück. Kalifornien war ein häßliches Land, aber es war ihr ganz gleichgültig. Kalifornien war das Land, in dem man so viel schlafen konnte, wie man wollte, so viel Wasser trinken, wie man wollte, in dem man frisches Fleisch, frisches Obst, saubere Kleider und ein Bett haben konnte. Sie hatte die Augen geschlossen. Nach ein paar Minuten wurde ihr bewußt, daß Oliver ihr die Schuhe auszog und eine Decke über sie breitete. Gleich darauf schlief sie schon.
Als sie erwachte, stand die Sonne schräg im Zimmer und spielte auf den Wandvorhängen. Der Duft bratenden Fleisches war in der Luft. Bevor sie noch völlig erwacht war, dachte sie an die endlosen Maismehlbreie, von denen sie sich in der Wüste genährt hatte; ihr Magen machte unwillkürlich kleine Freudenhüpfer. Oliver sagte, sie werde sich noch eine kleine Stunde gedulden müssen. Das Eintreffen der Karawane habe sich so genau nicht vorausberechnen lassen; die Küche habe erst mit der Arbeit begonnen, während sie sich der Ranch näherten. Aber bis zum Abendessen gäbe es Seife und Wasser in Fülle.
Garnet besah sich in dem an der Wand hängenden Spiegel. Sie war braun wie ein herbstliches Blatt; ihre Arme und Beine schienen so hart wie Holz. Obgleich sie ständig schwere Handschuhe getragen hatte, waren auch ihre Hände vom ständigen Reiten rauh und hart.
»Oliver«, kicherte sie, »ich glaube, ich könnte die Männer, mit denen ich früher zu tanzen pflegte, ohne Anstrengung in Stücke brechen.«
Oliver umspannte ihre harte Taille. »Das kannst du vermutlich«, sagte er. »Warte eine Minute, ich bin gleich soweit. Dann gehen wir zusammen hinaus.«
Garnet trat an das Fenster und stieß die Läden auf. Sie sah, daß die Hauswand, ähnlich wie in Santa Fé, ungefähr einen Meter dick war. Sie stützte die Ellbogen auf den Fenstersims und blickte hinaus.
Die Ranch war voller Leben. Ältere Frauen kochten auf Öfen im Freien, die wie große Bienenkörbe aussahen. Mädchen schleppten Stapel von Tellern und Schüsseln zu langen Tischen, die um einen Hauswinkel herum im Gras aufgestellt waren. Die Männer des Trecks standen und saßen in Gruppen herum, tranken und schäkerten mit den auftragenden Mädchen, während sie auf das Abendessen warteten. Die grellbunten Kleider der Mexikanerinnen standen als leuchtende Farbflecke vor dem Hintergrund der graubraunen Hügel. Der Duft des Essens lag schwer in der Luft.
Während sie so aus dem Fenster sah, erblickte Garnet den schönsten und stattlichsten Mann, den sie in ihrem ganzen Leben zu Gesicht bekommen hatte.
Der Mann war nahezu sieben Fuß groß, schien gut und gern dreihundert Pfund zu wiegen, und jede Unze Fleisch an ihm schien hart und gesund. Sein dichtes, welliges Haar hatte einen rötlichen, goldschimmernden Ton; es fiel ihm in einer ungebärdigen Locke in die Stirn. Seine Augen waren dunkelblau, fast veilchenfarbig, seine Haut schimmerte rosig wie die Haut eines Kindes; seine Gesichtszüge erschienen trotz des kühnen männlichen Schnittes beinahe kindlich weich. Der Mann war prachtvoll gekleidet. Er trug einen Anzug aus himmelblauer Atlasseide mit goldenen Borten abgesetzt, hohe, glänzende Stiefel mit sternförmigen Sporen und goldgestickte Lederhandschuhe. In einer Hand hielt er einen schwarzen mexikanischen Hut mit blauer Seidenkordel um die Krone.
Dieses Prachtstück von einem Riesen strolchte an der Seite von John Ives über die Ranch. Auch John hatte inzwischen die Kleidung gewechselt; er trug ein rotes Seidenhemd und dunkelgraue mexikanische Beinkleider und sah prächtig und elegant aus; aber neben seinem himmelblauen Begleiter wirkte er beinahe nichtssagend, und obgleich auch er sechs Fuß und zwei Zoll maß und hart und zäh wie ein Maulesel war, wirkte er neben dem Riesen nahezu klein.
Als die beiden in etwa fünfzehn Fuß Entfernung an Garnets Fenster vorübergingen, wandte der Riese den Kopf. Er erblickte die Frau über dem Fenstersims, und seine Gesichtszüge verzogen sich zu einem offenen und herzlichen Lächeln. Das geschah so spontan und wirkte so unschuldig und zugleich offenherzig, daß Garnet unwillkürlich zurücklächelte. Dabei hatte sie das sonderbare Gefühl, in eben diesem Augenblick einen neuen Freund
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