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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Santa Fé zum erstenmal sah, hatte sie ihn auf etwa fünfunddreißig geschätzt, aber zuweilen, wenn er getrunken hatte, wirkte er um mehr als zehn Jahre älter. Texas war von mittlerer Größe und nicht sehr stark gebaut, aber das Leben beim Treck hatte ihn zäh gemacht und seine Muskeln gehärtet. Er sah besser aus, wenn er ritt; das mochte an seiner sonderbar wiegenden Gangart liegen; er stand auch selten gerade und aufrecht wie ein Mann, der der Welt ins Antlitz sieht. Aber er schien nicht viel über sein Äußeres nachzudenken. Die meisten Männer waren bereit, selbst Schmerzen auf sich zu nehmen, um vorteilhaft auszusehen, wenn sie an einen Ort kamen, wo Frauen und Mädchen waren. Texas hatte sich zwar auch Haar und Bart schneiden lassen, aber er ging immer lässig und nachlässig gekleidet, und Garnet hatte das Gefühl, er würde sich gehen lassen und sogleich wieder verwildern, sobald er allein wäre. Er hätte sehr viel besser aussehen können, wenn er auch nur die geringste Sorgfalt auf seine Erscheinung verwandt hätte. Sein Haar und sein Bart waren tief kupferbraun; auch seine Augen standen braun unter den dichten Brauen. Es waren sanfte, liebenswerte Augen, doch immer war in ihnen der Ausdruck einer heimlichen Scheu; sie hatte den Blick eines Kindes, das um Liebe bettelt, aber ziemlich sicher ist, keine zu finden.
    Seine Hände waren anders: hart und rauh, mit groben, knochigen Gelenken. Sie waren schwere Arbeit gewöhnt und hatten nichts von Unsicherheit an sich. Gleichzeitig wußten sie sacht und behutsam zuzufassen; wenn Texas eine Wunde behandelte, tat er es mit ruhigen, sicheren und geschickten Griffen, die so wenig Schmerzen als möglich verursachten. Garnet fragte sich, wo er diese Geschicklichkeit wohl erworben habe und warum er so weit nach Westen gegangen sei.
    Verlorene Seelen! dachte sie, während sie sich umsah. Verlorene Seelen, dazu verdammt, zwischen diesen düsteren Hügeln und Bergen zu leben. Nicht teilzuhaben an dem großartigen Leben, das Männer wie Don Antonio führten. An nichts teilzuhaben als an der großen Einsamkeit. Garnet fragte sich schaudernd, wie ein Mensch sich wohl fühlen mochte, der dazu verdammt war, in diesem backofenheißen Lande zu leben, sich an seine endlos ferne Heimat zu erinnern und zu wissen, daß er niemals dorthin zurückkehren könne.
    Sie ging zum Hause zurück. Jedermann auf der Ranch pflegte sich am Nachmittag schlafen zu legen. Die Männer hatten sich hier und da schon im Freien ausgestreckt, wo immer sie ein bißchen Schatten erhaschen konnten. Der Russe Nikolai lag schlafend unter einem Orangenbaum. Garnet sah ihn gedankenvoll an. Dieser Mann konnte nach Rußland zurückkehren, wenn er wollte; alle paar Jahre kamen Schiffe von dort, um Pelze zu holen. Aber er ging nicht. Er hatte Rußland als Kind hinter sich gelassen; vielleicht fürchtete er, dort ebenso fremd zu sein wie hier in Kalifornien. Sie fragte sich, ob er sich wohl auch wie ein Verdammter vorkäme.
    Sie ging in ihr Schlafzimmer und zog sich aus. Oliver war noch nicht da. Wahrscheinlich hielt er seinen Mittagsschlaf irgendwo im Freien, wie er es öfter tat. Sie legte sich auf das Bett, streckte die Glieder und schlief bald darauf ein.
    Als sie erwachte, fiel noch ein Sonnenstrahl durch die Fensterläden, aber die Luft im Zimmer war kühl. Sie hatte bereits festgestellt, daß es mit der Mittagswärme in Kalifornien eine besondere Bewandnis hatte. Kaum begann die Sonne zu sinken, da kühlte die Luft auch schon ab; bei Einbruch der Dunkelheit herrschte nicht selten winterliche Kälte. Oliver hatte ihr erklärt, daß dieses Klima während des ganzen Jahres anhalte. Die eingesessenen Kalifornier nahmen das als gegeben hin, da sie nichts anderes kennengelernt hatten. Die Yankees dagegen pflegten zu sagen, in Kalifornien habe man die vier Jahreszeiten an einem Tag.
    Garnet zog ein Kleid aus einem dunkelkarierten Wollstoff mit weißem Leinenkragen an. Wo mag Oliver sein? dachte sie; er war überhaupt nicht im Zimmer gewesen. Nachdem sie sich angekleidet hatte, ging sie hinaus, um ihn zu suchen.
    Die Ranch war schon wieder zum Leben erwacht. Die Männer beschäftigten sich bei den Pferden; hier und da lagen sie auch noch müßig im Gras und freuten sich ihrer Freiheit. Auf den Öfen im Freien wurde gekocht; ein verführerischer Duft dampfender Speisen war in der Luft. Lieber Gott! dachte Garnet, ich bin schon wieder hungrig. Wahrhaftig, ich habe keinen Grund, mich über Nikolais Appetit zu

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