Kalifornische Sinfonie
mokieren.
Sie sah weder den Russen noch John. Penrose hockte mit Silky und ein paar anderen Männern zusammen; sie erzählten sich Witze. Florinda war nicht dabei; vermutlich schlief sie noch. Garnet sah sich nach Oliver um, aber es vergingen ein paar Minuten, bis sie ihn erblickte.
Oliver saß unter einer großen Sykomore auf der Erde. Neben ihm saß ein Mann, den Garnet nicht kannte. Der Fremde war wie ein kalifornischer Ranchero gekleidet; er trug eine rote mexikanische Jacke, lederne Hosen und hohe, handgearbeitete Stiefel. Er hielt einen breitrandigen schwarzen Filzhut mit schwarzer Seidenkordel auf den Knien. Garnet ging zögernd auf die Gruppe zu.
Sie machte etwa ein Dutzend Schritte und blieb dann stehen. Die zwei Männer waren in ihre Unterhaltung vertieft. In dem allgemeinen Lärm, der jetzt, kurz vor dem Abendessen, rundherum herrschte, hatten sie ihr Kommen wohl überhört. Sie stand jetzt nahe genug, um einen Blick auf den Fremden werfen zu können. Sie hatte das sonderbare Gefühl, den Mann schon gesehen zu haben. Kaum war dieser Gedanke in ihr erwacht, da wußte sie auch schon, warum er ihr so bekannt vorkam. Er sah aus wie Oliver.
Ja, er glich Oliver und sah doch gänzlich anders aus. Er war kleiner und sicher ein gut Teil älter. Er hatte, ebenso wie Oliver, lichtbraunes lockiges Haar. Aber es wirkte struppig und wirr und ließ seinen Kopf zu groß für den kleinen gedrungenen Körper erscheinen. Auch die Gesichtszüge des Mannes glichen Olivers Gesicht, aber Olivers Ausdruck war hell und jungenhaft heiter; die Züge des anderen wirkten zusammengezogen, wie eine Walnußschale. Auf seiner Stirn und zwischen den Augen befanden sich tiefe Falten, und von der Nase zu den Mundwinkeln zogen sich scharf ausgeprägte Linien, die den Eindruck erweckten, als halte der Mann die Lippen ständig fest zusammengepreßt. Der ganze Gesichtsausdruck ließ auf Härte und Geiz schließen. Und obgleich der Mann muskulös wirkte und sonnenverbrannt war, wirkte er fahl und ungesund. Garnet wußte, daß es falsch war, einen Mann nach seiner äußeren Erscheinung beurteilen zu wollen, aber sie konnte sich nicht helfen; sie fand, der Fremde gliche einem bösen, garstigen Zwerg.
Sie wußte nun auch längst, wer der Mann war; die Erkenntnis ließ sie erschrecken. Doch gab sie sich gleich darauf einen inneren Ruck und ließ ihrem gesunden Menschenverstand die Oberhand. Es war töricht von ihr, zu erschrecken. Er konnte ihr doch unmöglich etwas zuleide tun. Sie würde jetzt auf ihn zugehen und versuchen, einen möglichst guten Eindruck auf ihn zu machen. Sie trat einen Schritt weiter vor.
Vielleicht war sie diesmal lauter aufgetreten, vielleicht hatten auch ihre Röcke vernehmlicher gerauscht; jedenfalls unterbrachen die Männer unter der Sykomore in diesem Augenblick ihr Gespräch und sahen sich um. In Olivers Gesicht stand ein Ausdruck der Bestürzung. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, sie jetzt schon hier zu sehen. Garnet hörte ihn sagen:
»Da kommt sie.«
Der Fremde sah sie an. Sein Blick war ganz kalt. Nicht die Andeutung einer freundlichen Regung war darin, er war hart und ganz gespannt, und er gab ihr das Gefühl, sich an einem Ort zu befinden, wo sie nicht hingehöre und wo zu sein sie kein Recht habe.
Die beiden Männer erhoben sich. Garnet sah, daß der Fremde kleiner als Oliver war. Sein Kopf mit dem dichten, wirren Haar wirkte noch größer als vorher. Er sah aus wie eine gespaltene Karotte mit einem Schwamm obendrauf. Sie hatte das Gefühl, kichern zu müssen, doch unterdrückte sie die Anwandlung sogleich; und als sie nun auf die Männer zutrat, brachte sie es sogar fertig, höflich zu lächeln. Oliver sagte mit einer Stimme, die sich anhörte, als suche er einigermaßen atemlos nach einer Formulierung für eine böse Nachricht:
»Garnet, darf ich dir meinen Bruder Charles vorstellen?«
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Charles verbeugte sich mit kalter Höflichkeit. Garnet fühlte, wie eine erkältende Welle über ihren Rücken lief. Der Mann war ihr im ersten Augenblick lächerlich vorgekommen, jetzt sah sie: Es war nichts Lächerliches an ihm. Alles an ihm war drohend und böse. Seine Lippen bewegten sich kaum. Er sagte: »Guten Tag, Madam.«
Dann sah sie seine Augen. Charles’ ganzer Charakter lag in seinen Augen, aber man sah das nicht gleich, weil sie so tief unter den dicken, hellen Brauen lagen, die wie Raupen unter seiner Stirn hingen. Sie hatten einen harten, durchdringenden Glanz,
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