Kalifornische Sinfonie
in immer neuen Formulierungen, sein Haus und alles, was er besitze, gehöre seinen Gästen, solange sie ihm die Ehre antun wollten, davon Gebrauch zu machen. Zuweilen ließ sich auch seine Gattin sehen, eine wohlbeleibte, stattliche Dame, auf einem prachtvollen Pferde mit silberbeschlagenem Zaumzeug einherreitend und huldvoll lächelnd. Wo immer sie erschien, sprangen die Männer auf und machten ihr tiefe Verbeugungen. Don Antonio hatte vier Söhne, die ihre prächtigen Hengste mit großer Geschicklichkeit zu zügeln wußten. Er hatte auch Töchter, aber von ihnen bekam niemand auch nur den Zipfel eines Kleides zu sehen. Hinter dem Hause befand sich ein von hohen Mauern umgebener Hof; innerhalb dieser Festung durften die drei Costilla-Töchter zuweilen Luft schnappen. Verheiratete Frauen durften sich in Kalifornien frei bewegen; die Mädchen der Aristokratenfamilien wurden dagegen in klösterlicher Abgeschiedenheit behalten. Garnet fragte Oliver, wie sie unter diesen Umständen je dazu kämen, sich einen Mann zu erwählen. »Wieso?« entgegnete Oliver, »sie kommen ja gar nicht in diese Verlegenheit. Die Eltern wählen den Mann für sie aus.«
»O Lieber!« rief Garnet entsetzt. Wie gut, daß diese Sitte nicht auch in den Staaten herrscht, dachte sie. Meine Eltern hätten dann wahrscheinlich Henry Trellen für mich ausgewählt.
Nach einer Woche, während der sie nichts getan hatten als essen und schlafen, fühlte Garnet sich körperlich so wohl wie jemals vor der großen Reise. Florinda dagegen war noch immer hager und dünn. Die Wüstenfahrt hatte ihr mehr genommen, als ihr eine Woche Ruhe zurückgeben konnte. Sie erklärte zwar fortgesetzt, daß es ihr ausgezeichnet gehe, aber sie sah in keiner Weise danach aus. Garnets Armwunde war noch nicht völlig verheilt, aber sie schmerzte kaum noch. Texas hatte sie nach wie vor in Behandlung. »Sie werden leider eine Narbe behalten, Madam«, sagte er eines Nachmittags, als er bei ihr stehengeblieben war, um sie nach ihrem Ergehen zu fragen, »aber es ist eine Narbe, auf die Sie stolz sein können.«
John, der nach dem Weideplatz zu den grasenden Pferden gehen wollte, ging eben vorbei; er blieb stehen, lächelte ein wenig und sagte:
»Dann streift er den Ärmel hoch, zeigt stolz seine Narben
Und sagt: ›Diese Wunden empfing ich am Crispins-Tag.‹«
»Wo steht das?« fragte Garnet. »Bei Shakespeare?«
»Bei Shakespeare steht nahezu alles«, sagte John.
Garnet lächelte. John mochte sie necken, soviel er wollte. Sie würde immer stolz auf diese Narbe sein. Auch später, wenn sie wieder in New York sein würde. Sie war froh, die Narbe am Arm zu haben und nicht an einer Stelle, die sie nicht hätte zeigen können. Texas lachte in seiner gewinnenden, freundschaftlichen Art; er war von Weindunst umgeben. Jetzt, wo er am Ende der großen Reise angelangt war, vermochte er sich von den Weinflaschen nicht mehr fernzuhalten. Aber alle Männer tranken jetzt, und außerdem: vor einem Mann wie Texas konnte sie nicht bange sein.
Johns Augen glitten über ihr glattes, sauber gebürstetes Haar und über ihr helles Kattunkleid; er schien bewundernd festzustellen, wie sehr sie sich in einer einzigen Woche verändert hatte. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er sagte:
»Ich habe auch eine Narbe.«
»Ja«, versetzte Garnet, »Sie erzählten mir, Texas habe Ihnen auch einmal eine Wunde ausgebrannt.«
»Die meinte ich jetzt nicht«, sagte John. »Ich habe noch den Abdruck Ihrer Zähne in meinem Schenkel.«
Garnet biß sich vor Verlegenheit auf die Lippen.
Texas sagte: »Schäme dich, John! Du sprichst mit einer Dame.«
»Ja«, sagte John, »aber mit einer intelligenten Dame.« Er lachte kurz auf, wandte sich um und ging zu den Pferden hinüber. Texas streichelte Garnets Handgelenk.
»Verargen Sie es John nicht, Miß Garnet«, sagte er. »John ist sehr klug. Und er ist ein ausgezeichneter Mann. Aber er liebt die Menschen nicht sehr.«
Garnet sah Johns hoher, schlanker Gestalt nach. »Er ist großartig, Texas«, sagte sie, »aber ich verstehe ihn nicht.«
»Geben Sie sich keine Mühe, einen von uns verstehen zu wollen, Miß Garnet«, sagte Texas. »Wir sind eine Rotte verlorener Seelen.«
Und auch Texas wandte sich und ging. Garnet spürte einen Stich heimlicher Trauer, als sie ihn so dahingehen sah. Sie fragte sich, wer er wohl sein und was ihn zum Kalifornien-Treck geführt habe. Sie wußte nichts von ihm. Es war selbst schwierig, sein Alter zu bestimmen. Als sie ihn in
Weitere Kostenlose Bücher