Kalifornische Sinfonie
Stimme, die heitere Gelassenheit vortäuschte:
»Nun, im Augenblick möchte ich nicht länger stören. Sicher haben die Herren sich eine Menge zu sagen, nachdem sie sich so lange nicht sahen. Ich werde Sie deshalb jetzt allein lassen, damit Sie ungestört Ihre Neuigkeiten austauschen können.«
Jetzt sah Oliver auf. Er schien froh zu sein, daß sie ging. Sie hörte ihn sagen: »Wir werden dich später beim Essen wiedersehen.«
Charles machte ihr eine kalte, knappe Verbeugung. Sie drehte sich kurz auf den Absätzen und ging davon. Ihr Herz schlug wie ein Hammer. Sie barst fast vor Zorn über Charles, aber sie war fast noch wütender auf Oliver. Warum hatte er ihr nicht beigestanden? War er wirklich so erbärmlich bange, daß er in Gegenwart seines Bruders nicht einmal zu sprechen wagte?
Sie ging zu den Tischen hinüber, wo für das Abendessen gedeckt wurde, und ließ sich neben einem Baum auf der Bank nieder. Sie würde dafür sorgen, daß Charles auf der anderen Seite des Baumes zu sitzen kam. Sie fühlte sich hoffnungslos verwirrt.
Wie war das denn? Charles hatte natürlich gewußt, daß der Treck fällig war; deshalb war er hierhergeritten, um mit Oliver zusammenzutreffen. Er war während des Nachmittags auf der Ranch eingetroffen. Oliver hatte ihm von seiner Heirat erzählt, und er hatte wahrscheinlich einen Wutanfall bekommen. Er hatte gesagt, sie würden morgen früh abreisen. Das war zweifellos sein eigener Entschluß, denn Oliver hatte bisher nichts davon verlauten lassen. Er hatte nichts davon gesagt, daß er Charles erwartete. Er hatte nicht mehr von Charles gesprochen.
Jetzt, wo sie darüber nachdachte, kam ihr das reichlich merkwürdig vor. Während des Trecks hatte sie alle Kraft nötig gehabt, um mit den Beschwernissen der Reise fertig zu werden, deshalb hatte sie kaum noch an Charles gedacht. Aber jetzt erinnerte sie sich, daß Oliver Charles’ Namen nicht mehr erwähnt hatte, seit sie Santa Fé verließen. Es war, als hätte er sich gemüht, zu vergessen, daß ihn am Ende des Weges jemand erwartete.
Garnet zog die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. An dem Abend in Santa Fé, da Oliver ihr erklärte, sie habe John hinsichtlich des Briefes mißverstanden, hatte er noch eine andere sonderbare Bemerkung gemacht. Er hatte mit einem etwas hilflosen Lächeln gesagt: ›Weißt du, daß ich nicht gut genug für dich bin, Garnet? Ich bin es wirklich nicht.‹
Damals hatte sie gelacht. Aber jetzt fragte sie sich, warum er das wohl gesagt habe. Eben hatte er ausgesehen wie ein Schuljunge, der sich vor Prügel fürchtet. Es war entsetzlich. Garnet fühlte sich im Stich gelassen. Aber sie faßte innerlich einen festen Entschluß. Gut, sie würden morgen nach der Ranch aufbrechen. Sie würde Charles nach wie vor freundlich begegnen und versuchen, ihn für sich einzunehmen. Sollte er seine Gesinnung nicht ändern, nun, so würde sie sich deswegen nicht grämen; es lohnte sich nicht. Oliver und sie würden ja in jedem Fall im April wieder aufbrechen und nach New York zurückkehren. Einstweilen würde sie versuchen, sich so angenehm wie möglich zu unterhalten. Wahrhaftig, sie hatte etwas Aufmunterung nötig. Sie ließ ihre Blicke umherschweifen, um zu sehen, ob Florinda nicht irgendwo in der Nähe wäre.
Aber Florinda war nicht zu sehen. Garnet sah Penrose. Penrose saß mit ›Teufelswanze‹ zusammen und soff. ›Teufelswanze‹ war einer der Kalifornien-Händler. Es war nicht ganz klar, woher sein Spitzname kam, aber er schien ihn nicht ungern zu hören. Florinda war nicht bei ihnen. Oliver hatte gesagt, Charles würde ihre Freundschaft mit Florinda nicht billigen. Gut! Charles sollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern! Sie jedenfalls mochte Florinda lieber als Charles.
John und der Russe, den Florinda ›Hübsches Tier‹ getauft hatte, gingen unweit von ihr spazieren. Der Russe strahlte vor Freude, als er sie sah, sie kamen zu ihr an die Bank. Vielleicht hatten sie bemerkt, daß sie sich suchend umgesehen hatte; jedenfalls sagte der Russe:
»Sie suchen jemand, Lady? Bin ich sehr unbescheiden, wenn ich hoffe: Sie suchen mich?«
Garnet lachte ihn an. Welch eine Freude war dieser Mann, nachdem sie Charles Hale kennengelernt hatte! »Ich suchte Florinda«, sagte sie, »haben Sie sie gesehen?«
Nikolais Gesicht wurde ernst. »Oh«, sagte er, »Sie wissen noch nicht –?«
»Was?« fragte Garnet betroffen. »Was soll ich noch nicht wissen?«
Der Russe sah John an.
John sagte:
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