Kalifornische Sinfonie
unerschlossen und fast unbekannt. Wie lange wird es noch unbekannt sein? Wann und von wem wird es erobert und der Welt aufgeschlossen werden? Oliver hatte gesagt, daß sie hier eine Woche lang ausruhen würden, vielleicht auch zehn Tage. Dann würden sie weiterziehen ins Landinnere hinein. Nachdem sie sich an die Fremdartigkeit der Umgebung gewöhnt hatte, fand sie, es sei dies ein ganz interessanter Fleck Erde. Don Antonio Costilla hatte eine ungeheure Landfläche bewilligt bekommen; Tausende und aber Tausende von Rindern grasten auf den hügeligen Weiten der ausgedehnten Besitzung. Das Land war ursprünglich Eigentum einer Missionsgesellschaft gewesen. Als Mexiko seine Unabhängigkeit von Spanien erlangte, waren die Missionsgesellschaften enteignet und das Land war von der mexikanischen Regierung in Form von Landbewilligungen privaten Rancheros übergeben worden.
In den zu Don Antonios Gebiet gehörenden Bergen entsprangen mehrere Quellen; Bäche führten das Wasser herunter ins Land. Es waren nur kleine Bäche, und sie führten jetzt, nachdem es sechs Monate lang nicht geregnet hatte, nur wenig Wasser, aber es reichte noch immer zur Bewässerung des Landes aus. Jenseits der von Kanälen durchzogenen Flächen war der Boden so hart und so trocken wie die Häusermauern aus ungebrannten Ziegeln. In dem bewässerten Gebiet standen hier und da einige Bäume. Die Sykomoren waren kahl, aber daneben gab es immergrüne Eichengebüsche an den Bächen, und Orangen-, Zitronen-und Olivenbäume, die hier aus Reisern aufgewachsen waren, die man einmal vor langer Zeit aus Spanien herübergebracht haben mochte. Auch sie waren immergrün, aber ihre Blätter waren pelzig und staubbedeckt.
Rund um das Wohnhaus gruppierten sich die Lagerhäuser und die Wohnhäuser der mexikanischen Aufseher. Weiter draußen sah man die strohbedeckten Hütten der Rancharbeiter, zumeist Digger und Halbblüter. Die hier sozusagen am Rande der Zivilisation hausenden Digger wirkten kaum weniger abstoßend als ihre wild lebenden Stammesgenossen; sie waren in jämmerliche Lumpen oder in Fetzen von Schafspelz gekleidet, die kaum ihre Blöße bedeckten. Sie hatten zottiges Haar, dick aufgeschwemmte Bäuche und kleine, runde, dumm glotzende Augen. Garnet hatte unwillkürlich aufgeschrien, als sie hörte, es leben Digger auf der Ranch; aber Oliver hatte sie beruhigt: Diese ›gezähmten Wilden‹ seien vollkommen harmlos.
Die Digger waren keine Sklaven, weil sie nicht gekauft und verkauft wurden, und sie wurden nicht gekauft und verkauft, weil sie absolut nichts wert waren. Es gab ihrer weit mehr, als gebraucht wurden. Im Lande galt allgemein die Ansicht, daß ein Ranchero, der einen Digger irgendwann oder -wo vor irgendeinem Unheil bewahrt, damit das Recht erworben habe, aus ihm jede Arbeitsleistung herauszuholen, zu der er fähig war. Die Digger waren sagenhaft dumm. Sie vermochten Befehle nur dann entgegenzunehmen, wenn sie in den einfachsten und primitivsten Redewendungen erteilt wurden. Kein Digger schien imstande, mehr als höchstens ein paar hundert Wörter zu lernen und im Kopf zu behalten. Die nähere Umgebung des Herrenhauses war für sie grundsätzlich gesperrtes Gebiet, das sie nicht betreten durften. Garnet war froh darüber. Im Wohngebiet der Weißen war alles auf Heiterkeit und Bequemlichkeit gestellt. Den Händlern wurden in den einzelnen Häusern Zimmer angewiesen; die Treiber schliefen im Freien, den Kopf auf dem Sattel gebettet. Penrose und Florinda bewohnten ein Zimmer in einem der kleineren Häuser in der Nähe des Herrenhauses. Die Kasten waren überall in Kalifornien klar abgegrenzt; Penrose, der weder eine Ranch noch Vieh besaß, galt längst nicht so viel wie Oliver Hale.
Don Antonio wäre nie auf den Gedanken verfallen, seinen Gästen etwas verkaufen zu wollen. Kost und Logis waren auf jeder kalifornischen Ranch grundsätzlich frei; ein Gast, der Zahlung dafür angeboten hätte, hätte den Gastgeber schwer beleidigt. Die Händler brachten ihren Dank dadurch zum Ausdruck, daß sie Don Antonio Geschenke überreichten: Decken aus Santa Fé oder amerikanischen Schmuck für seine Frau und seine Töchter, den sie den Missouri-Händlern abgekauft hatten. Die weibliche Dienerschaft der Ranch kochte und wusch die Wäsche; die Männer hatten außerhalb der Rodeo-Zeit wenig zu tun. Sie hockten herum, spielten Gitarre und sangen, während die Männer vom Treck mit den Mädchen tanzten und schäkerten. Don Antonio ritt lachend umher und erklärte
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