Kalifornische Sinfonie
zum Tisch.
»Benimmt er sich öfter so?« fragte Garnet.
»Nimm’s ihm nicht übel«, versetzte Oliver, »er ist harmlos wie ein Kind. Übrigens, verschluck dich nicht, wenn du ihn essen siehst.«
Zu jeder Seite der Tische standen lange Bänke ohne Lehnen. Die Männer sprangen mit einem Salto darüber und suchten sich einen Platz; sie gröhlten und lärmten und schienen ausnahmslos guter Laune. Jeder, der einen Platz ergattert hatte, begann ohne weitere Umstände zu essen. Sie schlangen wie die Wölfe.
Es gab Braten, ein Bohnengericht, Maisbrei, Weintrauben, Oliven und Orangen, außerdem Eier, Tortillas, duftendes dunkelbraunes Brot und allerlei fremdartig scharf mit Pfeffer und Zwiebeln gewürzte Gerichte. Dazu wurde aus großen dicken Tassen Schokolade getrunken. Und selbstverständlich gab es roten und weißen Wein und den beliebten scharfen Schnaps, den Aguardiente, den Garnet schon kannte. Das Fleisch war zäh und strömte einen Wildgeruch aus; die auf den Hügeln rundum weidenden Rinder waren ganz wild. Niemand kümmerte sich um sie. Sie wurden nur einmal im Jahr gezählt und sortiert. Aber der Braten war gleichwohl gut. Alles war gut. Die Schüsseln waren aus farbig glasiertem Ton. Die Messer hatten Stahlklingen, aber Gabeln und Löffel waren aus Holz. Sie waren ganz leicht und gut zu handhaben.
Garnet aß zunächst mit so ausgezeichnetem Appetit, daß sie ihrer Umgebung keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Aber nach einer Weile gewahrte sie, aufblickend, den Russen Nikolai, der ihr genau gegenübersaß. Und obgleich Oliver sie gewarnt und gesagt hatte, sie solle sich nicht verschlucken, riß sie starr vor Staunen die Augen auf. Nikolai hatte seine Handschuhe ausgezogen und die Manschetten hochgestreift. Er hatte sich ein riesiges weißes Taschentuch um den Hals gebunden und hielt in den Händen eine große Fleischkeule, von der er Fetzen mit den Zähnen herunterriß. Das Fett triefte ihm von Mund und Fingern.
Zugleich mit dem Fleisch aß er einen großen Laib braunen Brotes und trank dazu roten Wein aus der Flasche. Nachdem er den Keulenknochen leer genagt hatte, warf er ihn fort und langte sich ein gebratenes Huhn von einer Platte. Er zog dem duftenden Tier Flügel und Beine ab und legte sie beiseite. Dann ergriff er den Rumpf mit beiden Händen und aß ihn rund herum ab wie einen Maiskolben. Zu dem Huhn vertilgte er eine große Schüssel Bohnengemüse. Als sie leer war, angelte er sich eine Schüssel mit Maisbrei. Hierzu verwandte er einen Löffel, den er wie einen Speer in der Faust hielt. Nachdem er das Huhn verzehrt und eine weitere Flasche Wein dazu getrunken hatte, begann er eine Orange zu schälen.
Als eines der mexikanischen Hausmädchen hinter ihn trat und ihm eine Schüssel Wasser brachte, schenkte er ihr ein bezauberndes Lächeln und versicherte ihr, daß sie sehr schön sei. Er wusch sich sehr sorgfältig die Hände, nahm das Taschentuch vom Hals und trocknete sie ab. Dann schob er das Tuch wieder in seine Tasche. Nunmehr trank er die noch vor ihm stehende Weinflasche leer – Garnet hatte nicht gezählt, wie viele Flaschen er getrunken hatte – und sah sich mit lachenden Augen um. Er schien wunschlos glücklich.
Nachdem sie sich vom Tisch erhoben hatten, ging er an Johns Seite davon. Florinda starrte fasziniert auf den breiten Rücken in himmelblauer Atlasseide.
»Oliver«, keuchte sie, »ißt er immer so viel?«
»Soviel ich weiß, ja«, sagte Oliver.
»Mein Gott! So viel und – auf solche Weise wie eben?«
»Ja, das tut er wohl.«
»Ich finde ihn wundervoll«, sagte Florinda.
Sie ging zu Penrose hinüber, der sich zusammen mit anderen Männern der Länge nach auf dem Gras ausgestreckt hatte. Oliver wollte sich überzeugen, ob seine Tiere versorgt und seine Warenballen gut untergebracht wären, und Garnet ging in das Haus zurück.
An der Tür sah sie sich noch einmal um. Das Tageslicht wurde schon fahl, und die Luft kühlte empfindlich ab. Die Männer lagen in Gruppen im Gras, ließen die Flaschen kreisen und lachten und schwätzten miteinander. Ab und zu bellte ein Hund; auf dem Weideplatz wieherten die Pferde. Garnet sah am östlichen Himmel die Zackenlinie des Gebirgszuges, den sie überquert hatten.
Was für ein seltsamer Ort! dachte sie; es ist, als befände ich mich am Ende der Welt. Auf der einen Seite ist der Ozean, der größte der Erde, auf der anderen die ungeheure Bastion des Gebirges und dahinter die Wüste. Zwischen Meer und Gebirge liegt Kalifornien,
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