Kalifornische Sinfonie
hinauf, wo sein Schiff in wenigen Tagen abfahrtbereit sei. Er sei völlig verstaubt und schmutzüberkrustet angekommen und habe sich deshalb zunächst zu seinem Freund Señor Cereceda begeben, um sich zu säubern und ein paar Stunden zu schlafen. Dann sei er zu Silky gegangen, und dort habe José ihm gesagt, daß die Damen sich bei Mr. Abbott befanden. Mr. Abbott rief laut nach Wein und Bechern, schalt Florinda, weil sie von vornherein verzichtete, und versicherte, es werde sie noch einmal gereuen, daß sie die kostbarste Gottesgabe verschmähe. Sie glaube nicht, lachte Florinda, sie könne es nun einmal nicht ändern; der Wein verursache ihr Übelkeit. Die anderen tranken auf die Gesundheit des Russen, auf sein Glück und auf eine gute Reise nach St. Petersburg. Während des Trinkens und Redens wandte sich Nikolai leise an Garnet und fragte: »Wo ist John?«
Garnet spürte einen trockenen Kloß in ihrer Kehle anwachsen, der ihr die Luftröhre zuzuschnüren drohte. »Ich weiß es nicht, Nick«, flüsterte sie, »ich hoffte, Sie würden es mir sagen können.«
Nikolai schüttelte den Kopf; er schien überrascht. »Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte er. »Ich war auf meiner Ranch. Auf dem Weg hierher bin ich über Torosa geritten, aber Johns Leute hatten auch nichts von ihm gehört. Nun dachte ich, ich würde ihn hier treffen. Haben Sie auch keinen Brief bekommen?«
»Nein«, antwortete Garnet, »seit jenem ersten Brief, mit dem er mir die glückliche Ankunft in San Franzisko meldete, keine Zeile mehr.«
Die Überraschung stand noch immer in Nikolais Gesicht, aber dann lächelte er Garnet beruhigend an: »So weite Reisen sind schwierig während der Regenzeit«, sagte er.
Garnet konnte nicht antworten. Das alles schien so sinnlos. Es war jetzt der erste April. Sie war überzeugt, daß nicht die Wetterverhältnisse John zurückhielten. Wenn er es ernsthaft gewollt hätte, wäre er längst gekommen. Florinda streichelte mit beruhigender Gebärde Garnets Arm und bemühte sich dann, das Gespräch auf andere Dinge zu bringen. Sie fragte Nikolai nach seinen Reisevorbereitungen. Er habe einen Verwalter engagiert, erklärte Nikolai, einen prächtigen Burschen aus Oregon. Die Zeit der großen Landverschreibungen war in Kalifornien vorbei; die Männer, die jetzt kamen, mußten sich mühen, eine Anstellung auf den großen Besitzungen zu finden. Für den Fall, daß er im Laufe von zehn Jahren nicht zurückkäme, hatte Nikolai Grigorievitch seinen gesamten Besitz John überschrieben. Die Verschreibung hatte er bei sich und wollte sie hier in Los Angeles beim amerikanischen Alkalden, Mr. Foster, hinterlegen.
»Zehn Jahre!« riefen die Anwesenden beinahe gleichzeitig.
Der Russe zuckte die Achseln und lächelte. Der Zar schicke leider nicht jedes Jahr ein Pelzschiff nach Kalifornien. Und die Reise dauerte sehr lange, mindestens ein Jahr, möglicherweise auch anderthalb Jahre. »Wie weit ist es denn, um Gottes willen, von hier bis St. Petersburg?« fragte Florinda.
»Vielleicht zehntausend Meilen«, entgegnete der Russe. »Vielleicht auch etwas mehr oder etwas weniger; ich weiß es nicht genau.«
»Pfui Teufel!« sagte Florinda und stieß einen höchst undamenhaften Pfiff aus. »Wie fahrt ihr denn dann?«
»Um Kap Hoorn herum, dann den Atlantischen Ozean hinauf, und schließlich durch die Nord-und die Ostsee.«
»Was ist Ost-und Nordsee? Wo ist das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Nikolai. »Ich wiederhole nur, was der Kapitän mir gesagt hat. Wahrscheinlich bin ich ja schon auf dem gleichen Wege hierhergekommen, aber wie sollte ich wissen, wie die einzelnen Gewässer hießen, die wir durchfuhren, als ich war ein Kind?«
»Eine solch endlose Reise! Du wirst an Skorbut sterben.« Florinda konnte sich gar nicht beruhigen.
»Oh«, lächelte Nikolai, »ich bin ja auch gekommen hierher, ohne zu sterben an Skorbut.«
»Ich muß sagen, du bist großartig, Nick. Deine Ruhe ist wunderbar«, stellte Florinda fest.
Nikolai zuckte die Achseln: »Ich habe die große Reise geplant sehr, sehr lange. Ich will und muß Rußland wiedersehen. Warum sollte ich mich fürchten?« Er sah sie alle der Reihe nach an und lächelte, dann sagte er, wieder zu Florinda gewandt: »Ich muß nun gehen zu Mr. Foster. Wenn du mich würdest zum Abendessen einladen, ich wäre sehr glücklich.«
»Du bist eingeladen«, sagte Florinda. Nikolai winkte allen herzlich zu und verließ den Laden. »Also gut, ich möchte den Kalikostoff nehmen«, sagte Florinda,
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