Kalifornische Sinfonie
wieder zum Ladentisch gewandt. »Könnte ich vielleicht auch ein paar große weiße Knöpfe haben?«
Garnet kaufte auch etwas Kalikostoff, aber ihre Gedanken waren nicht bei der Sache. Sie waren auf der Suche nach John. Auch Nikolais Weggang schmerzte sie; sie würde ihn sehr vermissen. Ob es ihm in St. Petersburg gefallen würde?
Das Essen am Abend verlief in halb fröhlicher, halb wehmütiger Stimmung. Alle fragten sich, ob und wann sie wohl noch einmal so beieinander sitzen würden wie jetzt. Als die Frauen schließlich nach oben gingen, sagte Florinda:
»Ich glaube, Garnet, dieser große, ungeschlachte Wilde ist der netteste und zugleich der anständigste Mann, den ich je kennengelernt habe. Wenn er es nicht gut haben sollte in Rußland –; sie hielt inne und zuckte resigniert die Achseln. Wenn sie nicht gut zu ihm wären in Rußland, würde sie es nicht ändern können.
Garnet räumte Wäsche weg, die Isabel in ihr Zimmer gelegt hatte, und fand einen Unterrock, der Florinda gehörte. Sie brachte ihn ihr ins Zimmer. Florinda kniete auf dem Fußboden vor ihrer Truhe und hatte die offene Schmuckkassette vor sich. Als Garnet hereinkam, sagte sie: »Ich wollte dich eben rufen. Sieh her, möchtest du das haben?« Garnet setzte sich neben sie. Florinda hielt einen Ring mit einem großen Aquamarin in der Hand.
»Aber Florinda«, sagte Garnet, »wie käme ich dazu —?«
»O bitte, nimm ihn«, bat Florinda. »Ich weiß, daß du ihn magst. Und ich möchte gern, daß du ihn trägst. Er ist ja auch wirklich hübsch.«
»Er ist nicht nur hübsch. Er ist auch sehr wertvoll.«
Florinda zuckte gleichmütig die Achseln. »Ein Vermögen schenke ich dir nicht mit dem Ring«, sagte sie. »Aquamarine sind keine besonders wertvollen Steine. Außerdem, ich mache mir nichts daraus.« Sie warf Garnet den Ring in den Schoß. Garnet nahm ihn zwischen zwei Finger. Das Kerzenlicht lockte blaugrüne Funken aus dem Inneren des Steines. Es mochte sein, daß der Ring nicht besonders kostbar war, aber sicher war er zu kostbar, um ihn so einfach in den Schoß geworfen zu bekommen. »Florinda«, sagte sie leise, »denkst du etwa, ich sei böse wegen der Bemerkungen, die du gestern abend über John machtest? Ich bin dir gewiß nicht böse. Ich habe dich um deine Meinung gefragt, und es ist selbstverständlich, daß du mir sagtest, was du dachtest.«
»Oh, das hat überhaupt nichts miteinander zu tun«, versicherte Florinda. »Ich hatte schon immer vor, dir diesen Ring zu schenken. Ich will ihn nicht mehr haben. Vielleicht erinnerst du dich, daß ich ihn an Doña Manuela loswerden wollte, aber die wollte ihn ja nicht, sie wollte lieber die silbernen Knöpfe haben. Magst du ihn wirklich nicht?«
»Er ist herrlich«, sagte Garnet, »aber ich möchte, daß du ihn selber behältst.«
»Ich mag ihn nicht mehr«, beharrte Florinda.
Garnet drehte den Ring und ließ das Kerzenlicht wieder auf den Stein fallen. »Du könntest ihn umfassen lassen, wenn du ihn nicht als Ring tragen willst«, sagte sie, »zum Beispiel als Anhänger für eine Kette. Er würde sich auf deinem Hals großartig ausnehmen.« Florinda antwortete nicht. Garnet drehte noch immer den Stein. Als sie nach einem Weilchen aufsah, stellte sie fest, daß Florinda sie beobachtete. Auf ihren Lippen spielte ein verwundertes Lächeln. Als Garnet dieses Lächeln sah, wurde ihr bewußt, daß sie, verwirrt durch das ständige Denken an John, eben zum erstenmal das Versprechen gebrochen hatte, das sie sich damals im Hotelzimmer von New Orleans selbst gegeben hatte. Sie hatte Florinda gegenüber nie auf die Narben an deren Händen und Armen hinweisen wollen. Eine heiße Welle lief über ihr Gesicht. Florinda, immer noch mit dem leicht erstaunten Lächeln auf den Lippen, sagte:
»Weißt du eigentlich, Garnet, daß du eben zum erstenmal darauf hingewiesen hast, daß mit meinen Händen etwas nicht in Ordnung ist?«
Garnet senkte die Augen. »Ich wollte es auch jetzt nicht tun«, sagte sie leise, »es ist mir so herausgefahren.«
»Aber beunruhige dich doch deswegen nicht, Liebe«, sagte Florinda, »sieh mich an.«
Garnet hob den Kopf. Auf Florindas Gesicht stand ein warmherziges Lächeln. Sie sagte: »Hättest du mich damals in New Orleans gefragt, wie ich zu den Narben an meinen Händen gekommen sei, ich hätte dir die Antwort schuldig bleiben müssen. Damals war das alles noch zu frisch, und ich hatte Tag für Tag einen inneren Kampf mit mir selber auszufechten, um auch nur
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